Die Europäische Zentralbank dürfte am 17. April die Zinsen um weitere 0,25 Prozentpunkte senken. Den Notenbankern kommt dabei die schwierige Aufgabe zu, die Geldpolitik inmitten der unvorhersehbaren globalen Handelsspannungen und schlechteren Konjunkturaussichten zu steuern.
Angesichts jüngster Daten und politischer Entwicklungen preisen die Märkte für Ende 2025 einen endgültigen Einlagensatz zwischen 1,50 % bis 1,75 % ein - während dies Anfang des Monats noch bei 2,00 % lag.
Dies impliziert mindestens drei weitere Senkungen über den April hinaus: Der Einlagensatz liegt derzeit bei 2,50 %. Der sogenannte endgültige Zinssatz (Terminal Rate) bezeichnet das Zinsniveau, bei dem eine Zentralbank ihre Zinssenkungen oder -erhöhungen innerhalb eines Zyklus beendet. Er fällt in der Regel mit dem Erreichen des Inflationsziels zusammen – also dem neutralen Bereich.
Aktuelle EZB-Zinssätze
Seit 12. März liegen die drei EZB-Leitzinssätze bei:
- Satz der Einlagefazilität: 2,50%
- Hauptrefinanzierungssatz: 2,65%
- Spitzenrefinanzierungsfazilität: 2,90%
Marktturbulenzen erschweren Prognosen zum EZB-Leitzins
Die Zentralbanker stehen vor einer schwierigen Aufgabe, sagt Peter Goves, Global Head of Developed Markets Fixed Income Strategy bei MFS Investment Management: “Jede Rendite- und Fundamentalprognose ist sehr schnell veraltet, denn das vorherrschende Umfeld ist sehr unbeständig.” In den vergangenen zwei Wochen hat US-Präsident Donald Trump mit seiner wechselhaften Zollpolitik die globalen Aktien- und Anleihemärkte auf eine Achterbahnfahrt geschickt.
“Die Nachricht, dass Trump von den Zöllen abrückt, ist für die Märkte sehr positiv, und viele glauben, dass das Worst-Case-Szenario nun vom Tisch ist. Aber der Überhang des Handelskriegs wird wahrscheinlich noch einige Zeit bestehen bleiben. Die Märkte haben bereits positiv auf die Nachricht reagiert, aber die Anleger bleiben misstrauisch wegen der zunehmenden Spannungen mit den verbleibenden hohen Zöllen für China”, sagt Michael Field, Chefstratege für den europäischen Aktienmarkt bei Morningstar.
AXA hatte bereits vor der jüngsten Marktkrise eine Terminal Rate von 1,5 % Ende 2025 prognostiziert. “Unsere Prognose wurde vor der aktuellen Phase der Marktturbulenzen veröffentlicht. Wir warten auf mehr Klarheit und revidieren unsere Prognose zum jetzigen Zeitpunkt nicht”, sagt Alessandro Tentori, CIO Europe bei AXA Investment Management.
Laut seiner Prognose wird die Bank die Zinsen im April und Juni senken, sowie zwei weitere Male um jeweils 0,25 Prozentpunkte in der zweiten Jahreshälfte.
“Auch wenn wir uns wahrscheinlich im neutralen Bereich bewegen, wird die EZB angesichts aller Risiken, die noch auftreten könnten, vorsichtig bleiben”, sagt Ulrike Kastens, Makroanalystin bei der DWS.
Kastens fügt hinzu: “Hatte die EZB auf ihrer letzten Sitzung im März eine Zinspause noch nicht vollkommen ausgeschlossen, wird sie nun von der neuen handelspolitischen Realität eingeholt. Durch die deutliche Anhebung der Zölle auf europäische Exporte in die USA und die damit verbundene Unsicherheit sind die Abwärtsrisiken für die Konjunktur 2025 deutlich gestiegen, denen die Notenbank mit einer weiteren Senkung des Einlagensatzes um 25 Basispunkte auf 2,25 Prozent begegnen dürfte.”
EZB-Rat geteilt über Zinsen
Das gelpolitische Entscheidungsgremium der EZB scheint sich über den künftigen politischen Kurs auch nicht ganz einig zu sein: Der Gouverneur der Banque de France, François Villeroy de Galhau, sprach sich diese Woche in französischen Medien für rasche Zinssenkungen aus. Zwar werde der Zollstreit das Wirtschaftswachstum erheblich beeinträchtigen, doch sei der Disinflationstrend in der Eurozone solide, sagte er. Die Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar werde ebenfalls dazu beitragen, den Preisdruck einzudämmen.
Auf der anderen Seite des Spektrums sieht der österreichische Zentralbank-Gouverneur Robert Holzmann keinen Grund, die Zinssätze zum jetzigen Zeitpunkt zu senken. “Nach allem, was ich gesehen habe, sehe ich keinen Grund, meine Meinung zu ändern”, sagte er auf einer Pressekonferenz am Dienstag. Gleichzeitig hielt er die Tür offen für eine Änderung seiner Meinung, falls die Daten dies rechtfertigten.
Das Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrats vom 6. März, das am 6. April veröffentlicht wurde, zeigte auch eine Divergenz innerhalb des Rates.
Jüngste Leitzins-Entscheidungen der EZB
Die EZB begann ihren Zinssenkungszyklus im Juni letzten Jahres, pausierte im Juli und nahm ihre Zinssenkungen im September, Oktober, Dezember, Januar und März wieder auf, wobei sie ihren Leitzins bisher insgesamt um 1,5 Prozentpunkte senkte.
Was bedeuten die Zölle für die Inflation in der Eurozone?
Während sich die meisten Ökonomen einig sind, dass sich die Zölle negativ auf das Wachstum der Eurozone auswirken werden, sind ihre Auswirkungen auf die Inflation weniger klar.
Billigere Waren aus China, niedrigere Energiepreise und ein stärkerer Euro gegenüber dem Dollar wirken disinflationär, sagt Kastens von der DWS. “Der EZB-Lohntracker deutet weiterhin darauf hin, dass der Druck auf die tariflichen Löhne nachlässt, obwohl die Dienstleistungsinflation bis 2025 erhöht bleiben dürfte”, sagt sie.
Allerdings können Zölle zu Versorgungsengpässen führen, die die Preise in die Höhe treiben können, so ein Papier der Österreichischen Nationalbank.
Die Inflation in der Eurozone ist im März im Jahresvergleich um 2,2 % gestiegen. Dies geht aus der Schnellschätzung von Eurostat hervor. Damit liegt der unter dem Wert vom Februar (2,3 %), der den Prognosen entsprach.
Die DWS prognostiziert für 2025 eine Gesamtinflation von 2,3 % mit einem Rückgang in Richtung 2 % in der zweiten Jahreshälfte, was mit dem mittelfristigen Inflationsziel der EZB von 2 % im Einklang steht.
EZB-Sitzung am 17. April: Was zu erwarten ist
Beobachter der EZB gehen davon aus, dass die Zentralbank über künftige Zinssenkungen weiterhin nichts sagen wird.
“Es ist für die Zentralbanken sehr schwierig, eine starre Prognose abzugeben. Was die Zentralbanken jedoch tun können, ist, ihre Verpflichtung zur Preisstabilität und ihren datenabhängigen, von Sitzung zu Sitzung-Ansatz klar zu kommunizieren. Die EZB hat sehr deutlich gemacht, dass sie den in der Reaktionsfunktion dargestellten Daten folgen wird”, sagt Peter Goves von MFS.
Mitte März erläuterte EZB-Präsidentin Christine Lagarde den Entscheidungsfindungsrahmen der EZB, der sich auf drei wichtige Säulen der Reaktionsfunktion stützt:
- Die Inflationsaussichten
- Die Dynamik des zugrunde liegenden Preis- und Lohndrucks
- Die Transmission der Geldpolitik
“Obwohl auf der April-Sitzung keine neuen Wachstums- und Inflationsprognosen vorgelegt werden, dürfte sich eine der wichtigsten Fragen auf der Pressekonferenz um die Auswirkungen der Zollpolitik auf die Inflation drehen”, fügt Kastens von der DWS hinzu.
“Angesichts der hohen Unsicherheit erwarten wir keine Änderung in der Kommunikation der EZB: Datenabhängigkeit und Entscheidungen von Sitzung zu Sitzung”.
Obwohl die aktualisierten Wachstums- und Inflationsprognosen erst im Juni fällig sind, würden alle Anzeichen für eine Abweichung von den März-Prognosen der EZB genau beobachtet werden. “Es ist verständlich, dass in den Juni-Prognosen negative Wachstumsrevisionen zu erwarten sind”, so Goves von MFS.
Trumps Zölle und das BIP-Wachstum in der Eurzone
Denn die Zölle dürften das Wachstum in der Eurozone weiter dämpfen. In ihrer März-Prognose hatten die EZB-Volkswirte ihre Projektionen bereits nach unten korrigiert - auf 0,9 % für 2025, 1,2 % für 2026 und 1,3 % für 2027. Stimmungsindikatoren wie der Sentix-Eurozonen-Stimmungsindex und der HCOB-Eurozonen-PMI für das verarbeitende Gewerbe sind zuletzt gesunken, und Ökonomen erwarten, dass sich die Auswirkungen ab Mai in den harten Daten niederschlagen werden.
Am Mittwoch hat die UBS ihre Wachstumsprognose für die Eurozone von 0,9% auf 0,5% im Jahr 2025 und von 1,1% auf 0,8% im Jahr 2026 gesenkt. Die Bank geht jedoch davon aus, dass die höheren Ausgaben in der EU und besonders in Deutschland bis 2027 eine Erholung auslösen werden. Die deutsche Regierungskoalition hat sich auf ein milliardenschweres Konjunkturpaket geeinigt, von dem Deutschland nach Ansicht der Analysten im Vergleich zu den anderen Ländern der Eurozone überproportional profitieren dürfte.
Zölle und veränderte Zinserwartungen lassen deutsche Zinsstrukturkurve steiler werden
Die erwarteten Zinssenkungen haben das vordere Ende der Renditekurve von Anleihen in der Eurozone, insbesondere von deutschen 2-jährigen Schatzanweisungen, nach unten gedrückt.
Im Gegensatz dazu sind die Renditen von Bundesanleihen mit längeren Laufzeiten in den letzten Monaten gestiegen, was auf die Erwartung einer verstärkten Emission von Anleihen zurückzuführen ist , nachdem Deutschland Anfang März höhere Haushaltsausgaben angekündigt hatte.
“Am 5. März erlebten die Bundesanleihen ihren schwärzesten Tag in der Geschichte der Eurozone, als die Rendite der 10-jährigen Referenzanleihe um 30 Basispunkte in die Höhe schoss”, so Tentori von AXA.
“Die starke Reaktion des Marktes hängt damit zusammen, dass Berlin über die Rolle des Verfechters einer orthodoxen Fiskalpolitik hinter sich lässt und seinen großen fiskalischen Spielraum für Strukturprojekte nutzt. Dies könnte ein Signal für eine Veränderung der wirtschaftlichen Bedingungen in Europa sein.”
Die Unterstützung für die 10-jährige deutsche Bundesanleihe verstärkte sich in dieser Woche, da die Handelsspannungen den Safe-Haven-Status von US-Treasuries in Frage stellten und Anleger Bundesanleihen als sichere Anlagen kauften.
Wie wirken sich Zinssenkungen auf die Märkte aus?
Die Aktienmärkte steigen normalerweise, wenn Zinssenkungen erwartet werden. Auf den Anleihemärkten bedeuten sinkende Zinssätze niedrigere Renditen, was die Anleihekurse nach oben treibt. Niedrigere Zinsen machen auch bestehende Anleihen, insbesondere solche, die bereits während einer Hochzinsphase begeben wurden, für die Rendite attraktiver.
Die Sparzinsen auf Bankkonten sinken in der Regel, zum Nachteil der Sparer. Denn die Zinssätze, die Sparer erhalten, hängen größtenteils von der Einlagefazilität ab, die festlegt, welche Zinsen Banken für die Einlage von Geld bei der EZB über Nacht erhalten. Kreditnehmer hingegen profitieren von niedrigeren Zinsen, denn Privatkredite und Hypotheken werden billiger.
Wann sind die nächsten EZB-Sitzungen im Jahr 2025?
- April 17, 2025
- Juni 5, 2025
- Juli 24, 2025
- Sept. 11, 2025
- 30. Oktober 2025
- Dez. 18, 2025
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