Wird die EZB am 5. Juni erneut die Zinsen senken?

Die wirtschaftliche Lage in der Eurozone verbessert sich trotz der drohenden Handelszölle.

Antje Schiffler 30.05.2025
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Collage der Illustration der Europäischen Zentralbank mit Formularen und Ikonen des Fundus

Es wird allgemein erwartet, dass die Europäische Zentralbank den Einlagensatz am 5. Juni um weitere 0,25 Prozentpunkte auf 2 % senkt und damit ihre achte Zinssenkung in einem Lockerungszyklus vornimmt, der sich möglicherweise dem Ende zuneigt. Die Entscheidung fällt in einer Zeit sich erhellender wirtschaftlicher Aussichten für die Eurozone- trotz der anhaltenden Unsicherheit inmitten der US-Handelszölle.

Michael Field, Chefstratege für europäische Aktien bei Morningstar, ist der Meinung, dass die Inflation in der Eurozone fest im Griff ist.

“Anders als in den USA, wo ein Wiederaufleben der Inflation vor allem dank der drohenden Zölle eine ernstzunehmende Gefahr darstellt, haben die Zentralbanken in Europa das Gefühl, dass sie die Inflation gut im Griff haben. Die Inflation im Euroraum liegt derzeit bei nur 2,2 % und damit in greifbarer Nähe des 2 %-Ziels der Zentralbank, so dass die EZB sicher einen weiteren Schritt in Richtung niedrigerer Zinssätze machen kann.”

ÖKonomen erwarten, dass die Inflationsrate in der Eurozone für den Mai unter 2 % sinkt. Die Daten werden am 3. Juni veröffentlicht.

Die derzeitigen Zinssätze in der Eurozone lassen der Zentralbank viel Spielraum, fügt Field hinzu.

“Von hier aus hat sie die Möglichkeit, die Zinssätze erheblich zu senken oder zu erhöhen, um auf veränderte wirtschaftliche Bedingungen zu reagieren. Das kann sie nicht, wenn die Zinssätze bei null oder bei ganzen 4 % liegen.”

Wie hoch sind die Leitzinsen der EZB?

Seit 23. April lauten die drei EZB-Leitzinssätze wie folgt:

Zinssatz der Einlagefazilität: 2,25%

Hauptrefinanzierungssatz: 2,40%

Spitzenrefinanzierungsfazilität: 2,64%

Nähert sich der Zinssenkungszyklus seinem Ende?

Die Märkte sehen die Zinssenkung im Juni zunehmend als den vorletzten Schritt im aktuellen Lockerungszyklus an. Die Swap-Märkte preisen eine Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte am 5. Juni fast vollständig ein, während die Erwartungen für eine dritte Zinssenkung im September bei knapp über 50 % liegen. Overnight-Index-Swaps implizieren eine geringere Wahrscheinlichkeit für eine Senkung am 24. Juli, der nächsten Sitzung nach Juni.

Ulrike Kastens, Senior Economist bei der DWS, erwartet, dass die EZB die Zinsen im Juni und im Juli um je 0,25 Prozentpunkte senken wird, bevor sie eine Pause einlegt.

“Wir sehen Spielraum für eine weitere Senkung nach Juni, aber ab hier wird die Luft dünner, da sich die Inflation abschwächt und die Wachstumsraten stabilisieren”, sagt sie.

“Die Geldpolitik ist eindeutig nicht mehr restriktiv. Die Kreditvergabe zieht an, vielleicht weniger bei den Unternehmen, aber die Wachstumsraten im Immobiliensektor sind anständig. Dies zeigt, dass die Zinssätze kein Hindernis mehr darstellen”.

Im Gegensatz zu den aktuellen Markterwartungen sehen die Analysten der Helaba ein vorläufiges Ende des Lockerungszyklus nach der Senkung im Juni, und eine hohe Wahrscheinlichkeit einer längeren geldpolitischen Haltephase.

“In der zweiten Jahreshälfte wird die EZB wahrscheinlich in einen abwartenden Modus übergehen. Während die Märkte eine weitere Zinssenkung (im Juli) einpreisen, spricht der angekündigte Wechsel zu einer expansiveren Fiskalpolitik gegen eine weitere geldpolitische Lockerung,” so die Analysten der Bank.

Auch innerhalb des EZB-Rates herrscht zunehmend Uneinigkeit. Robert Holzmann, Gouverneur der österreichischen Zentralbank, hat dafür plädiert, die Zinssätze bis mindestens September beizubehalten. Er argumentiert, dass der Leitzins bereits ein neutrales Niveau erreicht hat, welches er zwischen 2,5 und 3 % ansiedelt. Auch Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums, warnt davor, dass verfrühte Zinssenkungen angesichts der Handelsspannungen die Inflation anheizen könnten.

François Villeroy de Galhau, Gouverneur der französischen Zentralbank, erklärte dagegen in einer Rede am 27. Mai, dass die Normalisierung der Politik “wahrscheinlich noch nicht abgeschlossen” sei, und betonte, dass die schwache Konjunktur und die sinkende Inflation eine fortgesetzte lockere Zinspolitik rechtfertigen.

Europas Wirtschaft und der Handelskrieg

Mit der Androhung von 50 % Zöllen auf EU-Waren durch US-Präsident Donald Trump, welche erst auf den 9. Juli verschoben wurden und jetzt Gegenstand eines juristischen Streits sind, ist die Handelspolitik zu einer wichtigen Quelle makroökonomischer Unsicherheit geworden.

Im ersten Quartal 2025 wuchs das BIP der Eurozone jedoch um 0,3% gegenüber dem Vorquartal und lag damit leicht über den Erwartungen von 0,2%. Deutschland, die größte Volkswirtschaft des Euroraums, überraschte ebenfalls positiv und wuchs um 0,4 %, über der Konsensprognose von 0,2 %.

Vor allem aufgrund der deutschen fiskalpolitischen Wende erwarten die Ökonomen von Berenberg, dass sich das Wachstum in der Eurozone von 0,8 % im Jahr 2024 auf 1 % in diesem Jahr, 1,4 % im Jahr 2026 und 1,5 % im Jahr 2027 leicht erhöhen wird.

EZB wird wohl BIP- und Inflationsprognosen revidieren

Da sich die Wirtschaft des Euroraums widerstandsfähiger gezeigt hat als von der EZB zuvor prognostiziert, werden die Ökonomen der Zentralbank ihre BIP-Prognosen in ihrer vierteljährlichen Prognose am 5. Juni wahrscheinlich nach oben korrigieren. In ihrer letzten Prognose vom März rechneten die EZB-Mitarbeiter für 2025 mit einem BIP-Wachstum im Euroraum von 0,9 % (gegenüber 1,1 % in der Dezember-Sitzung) und für 2026 mit 1,2 % (gegenüber 1,4 % in ihrer Dezember-Prognose).

Ulrike Kastens von der DWS hält diese Schätzungen für zu konservativ: “Die Wachstumsaussichten der Eurozone verbessern sich dank fiskalischer Anreize und Anzeichen einer Normalisierung des Produktionszyklus. Viele Unternehmen hatten ihre Lagerbestände aufgestockt. Außerdem nehmen die Exporterwartungen trotz der Zollunsicherheit wieder zu.”

Der Aufschwung spiegelt sich im Purchasing Managers Index (PMI) des verarbeitenden Gewerbes der Eurozone wider, der im Mai mit 49,4 gegenüber 49,0 im April auf ein 33-Monats-Hoch gestiegen ist. Er liegt aber immer noch unter der Linie, die eine Kontraktion von einer Expansion trennt.

Nach den starken Daten für das erste Quartal rechnet die DWS nun mit einem BIP-Wachstum in der Eurozone von 1,1 % im Jahr 2025 gegenüber einer vorherigen Prognose von 0,9 % und 1,4 % im Jahr 2026.

Kastens erwartet auch, dass die EZB-Volkswirte ihre Inflationsprognosen gegenüber dem ersten Quartal nach unten korrigieren werden.

Vorläufige Daten für Frankreich zeigen, dass sich die Inflation im Mai auf 0,6 % verlangsamt hat und damit deutlich unter den Erwartungen liegt. Die Konsensprognosen von FactSet suggerieren, dass die Gesamtinflationsrate im Mai wohl auf 1,9 % und die Kerninflation auf 2,3 % gesunken ist.

Kann der Euro den Dollar als Weltwährung ablösen?

Angesichts wachsender Sorgen über die US-Finanzpolitik und geopolitischer Unwägbarkeiten suchen die Anleger weltweit zunehmend nach Alternativen zum US-Dollar. Zwar ist der Dollar mit einem Anteil von rund 58 % an den Devisenreserven nach wie vor die wichtigste Weltwährung, doch ist diese Zahl rückläufig, was auf eine mögliche Verschiebung im internationalen Währungssystem hinweist. Der Euro steht mit rund 20 % an zweiter Stelle.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde bezeichnete dies als potenziellen “globalen Euro-Moment”.

In einer Rede am 26. Mai sagte sie, dass die sich verändernde globale Landschaft eine Chance für den Euro biete, seine internationale Rolle zu stärken - ein Schritt, der dazu beitragen könnte, die Kreditkosten zu senken und die Eurozone wirtschaftlich widerstandsfähiger zu machen. “Der Euro wird nicht durch Versäumnisse an Einfluss gewinnen - er wird ihn sich verdienen müssen”, sagte sie.

Lagarde nannte drei Säulen, um die internationale Rolle des Euro zu stärken: die Aufrechterhaltung eines offenen Handels, der durch eine stärkere Sicherheitskooperation unterstützt wird, wirtschaftliche Stärke, die durch tiefere und liquidere Kapitalmärkte gestützt wird, und ein stabiler rechtlicher Rahmen.

“Wir müssen unser rechtliches Fundament stärken, indem wir die Rechtsstaatlichkeit verteidigen - und indem wir uns politisch zusammenschließen, damit wir dem Druck von außen widerstehen können”, sagte sie.

Wie wirken sich Zinssenkungen auf die Anleger aus?

Die Aktienmärkte tendieren bei erwarteten Zinssenkungen zu einem Anstieg. Michael Field von Morningstar ist der Meinung, dass eine Senkung des Einlagensatzes auf 2 % die Aktienmärkte in Europa zu einem wichtigen Zeitpunkt weiter ankurbeln würde, wenn das Vertrauen der Unternehmen und Verbraucher gering ist.

Auf den Anleihemärkten bedeuten sinkende Zinssätze niedrigere Renditen, was die Anleihekurse nach oben treibt. Niedrigere Zinssätze machen auch bestehende Anleihen, insbesondere solche, die bereits während einer Hochzinsphase begeben wurden, für Renditen attraktiver.

In der Zwischenzeit werden die Sparzinsen auf Bankkonten wahrscheinlich sinken, zum Nachteil der Sparer. Die Zinssätze, die Sparer erhalten, hängen größtenteils von der Einlagefazilität ab, die festlegt, welche Zinsen Banken für die Einlage von Geld bei der EZB über Nacht erhalten. Kreditnehmer hingegen profitieren von niedrigeren Zinsen, da Verbraucherschulden und Hypotheken billiger werden.

Wann sind die nächsten EZB-Sitzungen im Jahr 2025?

24. Juli

11. September

30. Oktober

18. Dezember


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Über den Autor

Antje Schiffler  ist Redakteurin bei Morningstar in Frankfurt.