5 ESG-Themen für 2022

In einem Ausblick auf das neue Jahr fasst Michael Jantzi, Geschäftsführer der Morningstar-Tochtergesellschaft Sustainalytics, die wichtigsten Trends zusammen, die er für 2022 erwartet.

Michael Jantzi 30.12.2021
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Green Thumb

Thema eins: Der gerechte Übergang

Wir werden eine kontinuierliche Zunahme von sozialen Themen sehen, die mit dem Klima verflochten sind, wie etwa der gerechte Übergang. Die Just Transition Declaration wurde von mehr als 30 Ländern auf der COP26 unterzeichnet und spiegelt die Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation wider. Die Erklärung verpflichtet die Staaten, Strategien zu entwickeln, die die Gesellschaften beim Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaft unterstützen. Und es wird weitere Anstrengungen geben - z. B. den mit EUR 17,5 Milliarden ausgestatteten Just Transition Fund der EU oder Investoreninitiativen wie die World Benchmarking Alliance, die bewertet, wie gut 180 Unternehmen den Prozess des Übergangs bewältigen.

Die Klimakrise umfasst eine Reihe weiterer Themen, darunter Entwaldung, Biodiversität, Umweltverschmutzung und Menschenrechte. Letztlich geht es um die Gesundheit und Widerstandsfähigkeit des Planeten als Grundlage der Gesundheit und des Wohlergehens der Menschen, die ihn bewohnen.

Der Mensch ist Teil der Natur, nicht getrennt von ihr. Zwar werden der Klimawandel und wetterbedingte Ereignisse die Berichterstattung dominieren, die Diskussionen aber werden viel breiter angelegt sein. So gibt es beispielsweise Hinweise darauf, dass die Luftverschmutzung Covid-19 verschlimmert. Im Oktober prognostizierte die medizinische Fachzeitschrift The Lancet, dass der Klimawandel das bestimmende Thema für die menschliche Gesundheit sein wird. All diese Diskussionen werden an Schwung gewinnen.

Thema zwei: Netto-Null bleibt

Bei der Netto-Null-Umstellung geht es nicht nur um die Verringerung des Kohlenstoffausstoßes, sondern auch um eine Umstellung des Geschäftsmodells, ähnlich wie bei der industriellen Revolution. Es wird Gewinner, Überlebende und Opfer geben. Wenn Sie Vorstand eines Unternehmens sind oder als Investor Kapital allokieren, versuchen Sie herauszufinden, was Sie tun müssen, um zu den Gewinnern zu gehören, oder wie Sie es zumindest vermeiden, Opfer zu werden.

Die Gemeinschaft der Anleger, eine Säule der Kapitalmärkte, muss sich unbedingt darauf konzentrieren, mit ihren Investitionen robuste Ergebnisse zu erzielen. Ich habe einen humorvollen Artikel gelesen, der sich über die Netto-Null-Bewegung lustig machte. Es ging um einen australischen Mann, der sich das ehrgeizige Ziel setzte, bis 2050, wenn er 101 Jahre alt wird, mit dem Trinken aufzuhören. Er sah nicht ein, dass er kurz- oder mittelfristig mit dem Trinken aufhören musste. So wird das nicht funktionieren. Wir müssen jetzt deutliche Fortschritte erzielen.

Thema drei: Desinvestition und Engagement

Eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit lautet: Wie können wir Portfolios dekarbonisieren? Sollen wir uns von Investments in kohlenstoffintensiven Emittenten trennen, also desinvestieren, oder uns im Sinne der Nachhaltigkeit dort engagieren?

Desinvestitions-Entscheidungen sehen heute ganz anders aus als in der Vergangenheit. Der niederländische Pensionsfonds ABP kündigte im Oktober an, dass er sich von den Herstellern fossiler Brennstoffe trennen werde, da er "als Aktionär nicht genügend Möglichkeiten hat, auf die notwendige deutliche Beschleunigung der Energiewende bei diesen Unternehmen zu drängen". Kritiker von Desinvestitionen argumentieren, dass die Vermögenswerte dann in den Händen von Leuten landen, die sich weniger um Nachhaltigkeit kümmern.

Staatliche Unternehmen benötigen sicherlich den politischen Willen zum Wandel. Aber auch Private Equity und Risikokapital achten zunehmend auf Fragen der Nachhaltigkeit. Die Kapitaleigner werden immer häufiger verlangen, dass sich auch ihre privaten Anlagen ESG-konform investiert sind.

Was Engagement betrifft, so müssen die Instrumente vielfältig und wirksam sein. Anstatt einfach Briefe zu schreiben, müssen diejenigen, die sich bei den Unternehmen engagieren, deren Geschäftsmodelle grundlegend in Frage stellen und zu bedeutsamen Veränderungen aufrufen, was Engagement und Ressourcen erfordert. Engine No. 1, die Aktivisten, die dieses Jahr drei Kandidaten in den Vorstand von Exxon gewählt haben, verfolgen ein ganz anderes Engagement-Modell.

Thema vier: ESG wird viel normaler werden

Da immer mehr öffentliche und private Investoren auf größerer Nachhaltigkeit bestehen, wächst der Bedarf an einheitlichen, gemeinsamen Offenlegungs- und Berichtsstandards. Stellen Sie sich eine Welt ohne allgemein anerkannte Rechnungslegungsgrundsätze vor. Es wäre ein Chaos. Und genau dort befinden wir uns jetzt.

Gerade wird die Infrastruktur für nachhaltige Finanzen aufgebaut. Kürzlich hat die IFRS Foundation die Gründung des International Sustainability Standards Board (ISSB) bekannt gegeben, in dem zwei wichtige standardsetzende Gremien zusammengeführt werden. In der Zwischenzeit können die Bemühungen von Morningstar und anderen die Begriffe für nachhaltige Investitionen klären und Investoren helfen, die sich über Greenwashing und andere potenzielle Probleme Gedanken machen.

Im Jahr 2022, wenn Nachhaltigkeitserwägungen bei der Offenlegung von Finanzkennzahlen, der Aufsicht, dem Risiko und bei aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen zunehmen, erwarte ich, dass unsere heutige Art, über nachhaltiges und verantwortungsvolles Investieren, über ESG und nachhaltige Finanzen zu sprechen, allmählich auf der Strecke bleiben wird.

In zunehmendem Maße werden wir unsere Arbeit einfach als Investment oder Finanzen bezeichnen - eine Vorsilbe wird nicht mehr nötig sein, wenn Nachhaltigkeit zur Norm wird.

Thema fünf: Kritische Masse

Wie der CEO von Morningstar, Kunal Kapoor, feststellte, hat sich die Zahl der ESG-ETFs mehr als versechsfacht, während das Vermögen aktiver ESG-Fonds weiterwächst. Diese Tatsache und die rekordverdächtigen Vermögenszuflüsse in nachhaltige Fonds könnten auf das Interesse von Privatanlegern hindeuten, die traditionell die Letzten sind, die zur Party kommen - und deren Ankunft für zynische Anleger den Höhepunkt des Marktes ankündigt.

Das mag stimmen, wenn nachhaltige Investitionen nur eine Modeerscheinung wären, aber die Anleger nehmen ESG als Teil des Übergangs zu einer Netto-Null-Welt an. Privatpersonen in Nordamerika sind ein wichtiger Kundenstamm für große institutionelle Anleger. Es könnte sogar noch mehr Wachstum geben, wenn Privatanleger über ihre Altersvorsorge in nachhaltige Fonds investieren.

Ich behaupte, dass Privatanleger zwei Erwartungen haben: Sie sorgen sich um einen sicheren Ruhestand, finanzielle Ziele und Risiken, aber sie sorgen sich auch darum, ob die Luftverschmutzung bei ihren Kindern Asthma verursacht oder ob die zunehmende Zahl von Waldbränden dazu führt, dass Hausversicherungen den Versicherungsschutz einschränken.

Die Ironie besteht darin, dass die Letzten, die zur Party kommen, ein entscheidender Katalysator sein könnten, um die Diskussion über die Auswirkungen von Portfolios auf diese Probleme zu lenken. Dabei könnten sie die Kraft sein, die den Wandel herbeiführt.

 

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Über den Autor

Michael Jantzi