Sind Swap-basierte ETPs ein Auslaufmodell?

Morningstar-Daten zeigen, dass Anleger offenbar differenzierter vorgehen als es Regulatoren tun (werden).

Jose Garcia Zarate 03.11.2011
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Zu sagen, dass die Augen der gesamten Investment-Welt auf die ETP-Industrie fixiert sind, wäre heute eine pure Untertreibung. Die allgemeine Wahrnehmung der Branche hat sich im vergangenen Jahr massiv gewandelt. Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) oder die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) haben den schnell wachsenden ETP-Markt ins Fadenkreuz genommen. Inzwischen werden die passiven Investment-Vehikel als eine potenzielle Quelle von "systemischen Risiken" bezeichnet. Das ist in gewissem Maße unfair: Ein Großteil der kritisierten Praktiken der Indexproduktanbieter ist nicht ETP-spezifisch, sondern gilt genauso gut für die Branche der aktiv verwalteten Fonds. Und dennoch ist die ETP-Branche so etwas wie ein dankbares Opfer für die Regulatoren geworden; es ist eine relativ junge Industrie, die sehr stark wächst. Sie nagt gewissermaßen dem „alten Establishment“ Marktanteile weg. Das ruft offenbar Misstrauen hervor.

Damit wir uns nicht missverstehen: Zu sagen, dass jemand unfair behandelt wird, bedeutet nicht, dass er von jeglicher Kritik freizusprechen wäre. Wir bei Morningstar sind zeitweilig sehr kritisch auf die Entwicklung der ETP-Industrie eingegangen – vor allem, was die Entwicklung in Europa anbelangt. Wiederholt haben wir mehr Transparenz von der Branche gefordert, vor allem was die Quellen der Kontrahentenrisiken sowohl bei physischen als auch Swap-basierten ETPs anbelangt. In diesem Sinne können wir beruhigt feststellen, dass der Großteil der von uns empfohlenen Best Practices jetzt von der Mehrheit der ETP-Anbieter übernommen wurde. (Dass die Transparenz-Offensive der ETP-Branche in erster Linie als Selbstverteidigungsschritt einer Industrie erfolgt ist, die schon fast Züge einer Wagenburgmentalität entwickelt, soll uns hier nicht beschäftigen.)

Hohe Abflüsse bei den Anbietern von Swap-Produkten - und was sie aussagen 

Doch die Diskussion hat in den vergangenen Wochen und Monaten eine neue Dynamik bekommen. Inzwischen sehen sich die ETP-Anbieter, die synthetische Indexreplikations-Methoden anwenden, jenseits der allgemeine Kritik an der Branche als besonders stigmatisiert. Sie werden in der allgemeinen Diskussion tatsächlich als die wahrscheinlichste Quelle systemischer Risiken gebranntmarkt. Es ist eine spannende Frage, ob Anleger dies auch so sehen und entsprechend handeln. Aufschluss darüber geben die Absatzzahlen.

Ein oberflächlicher Blick auf die europäische Absatzstatistik könnte den Schluss nahelegen, dass Anleger mit den Füßen über die Risikofrage abstimmen und massiv von synthtischen ETPs hin zu physisch replizierenden Produkten migrieren. Wie unsere Datenbank Morningstar Direct zeigt, haben Anleger im dritten Quartal rund 2,1 Milliarden Euro aus Swap-ETPs (hier definiert als Summe der ETFs und ETCs) abgezogen. Demgegenüber haben physisch replizierende ETPs Nettozuflüsse in Höhe von 5,74 Milliarden Euro verzeichnet. Wie das untere Diagramm zeigt, wurden im dritten Quartal erstmals seit Anfang 2010 in einer der beiden Index-Replikationsmethoden Nettoabflüsse gesehen.

Eine genauere Analyse der Nettozuflüsse im abgelaufenen Quartal zeigt, dass 96% der Abflüsse aus ETPs den synthetischen Produkten verloren ging nach 51% im zweiten Quartal. Derweil flossen im dritten Quartal 72% der Investitionen in ETPs in physisch replizierende Produkte nach 53% zwischen April und Juni. Angesichts dieser Zahlen könnte der Beobachter versucht sein zu argumentieren, dass ETP-Investoren in ihren Entscheidungen auch von der Sorge um die Risiken der synthetischen Strukturen beeinflusst werden. Die Verschiebung der Marktanteile weg von Swap-ETPs hin zu voll replizierenden Produkten hat sich in den Sommermonaten 2011 beschleunigt, wie die untere Grafik zeigt.

* Entwicklung der Marktanteile von Januar bis September 2011 nach verwaltetem Vermögen.

 

Tiefer schürfen ist angesagt - aber nicht unbedingt das Gebot der Stunde

Bei der Analyse von Statistiken ist es allerdings wichtig, die Daten en Detail zu betrachten, die Schlussfolgerungen zu validieren, um so zur Kernbotschaft zu kommen. Die detaillierte Durchsicht durch das Zahlendickicht zeigt, dass nicht alle Anbieter synthetischer ETPs unter Abflüssen leiden. Tatsächlich stammen die Abflüsse aus synthetischen ETPs im dritten Quartal vorwiegend von Lyxor. Dagegen konnten Produkte von db x-trackers - inzwischen der zweitgrößte europäische Anbieter mit Blick auf das verwaltete Vermögen in ETPs – im selben Zeitraum Zuflüsse verzeichnen. Das dürfte zum Teil mit Asset-Allocation-Entscheidungen zu tun haben: db x-trackers hat ganz erhebliche Nettozuflüsse in seinen ETF auf den DAX-30-Index verzeichnet. Im Gegensatz dazu sah Lyxor – kein starker Konkurrent, wenn es um Aktien-Exposure in Deutschland geht - erhebliche Abflüsse aus ETFs auf Emerging-Markets-Aktien- und Eurozonen-Staatsanleihen-Indizes. Die "DAX-Connection" findet sich auch bei physisch replizierenden ETFs. Nach unseren Berechnungen sind rund 61% der Netto-Neugelder, die iShares im dritten Quartal verbuchen konnte, in den iShares DAX geflossen.

Dies bringt uns zu einer möglichen Schlussfolgerung, dass die Abflüsse aus Lyxor-ETF – nicht nur im dritten Quartal, sondern über den gesamten bisherigen Jahresverlauf gesehen - auch auf Sorgen der Anleger über den Zustand des französisch Bankensystems im Allgemeinen und den der Lyxor-Mutterbank Société Générale im Besonderen zurückgehen könnten.

Das böse D-Wort und was die Regulatoren daraus machen  

Es spricht allerdings einiges dafür, dass die Marktdynamik ihren Lauf nimmt - und Differenzierung ist möglicherweise nicht das Gebot der Stunde. In der Welt von heute sind Derivate zum „bösen D-Wort“ verkommen. Angesichts dieser negativen Konnotation erstaunt nicht, dass sich die Regulatoren geneigt fühlen, die synthetische Seite des ETP-Marktes an die Kandare zu nehmen. Das passt in den allgemeinen Zeitgeist; schließlich ist für Otto-Normalanleger die Produkt-Story der physischen Index-Replikation viel leichter verständlich als die synthetische. Wir weisen jedoch darauf hin, dass „leicht verständlich“ nicht gleichgesetzt werden darf mit "weniger riskant"!

Derzeit sind die Gespräche zwischen den Regulierungsbehörden und den ETP-Anbietern im Gange. Der Ausgang ist offen; es wäre pure Spekulation, jetzt die Antwort auf die Frage zu geben, wie ETPs künftig klassifiziert und somit reguliert werden. Wird die bloße Replikationstechnik entscheiden? Oder werden im Zuge einer differenzierteren Vorgehensweise die tatsächlichen Kontrahenten-Risiken den Ausschlag geben? Die Signale deuten eher darauf, dass sich die Regulierungsbehörden auf die Frage der Replikationsmethode kaprizieren werden. Dass die Swap-Replikatoren in der allgemeinen Wahrnehmung zu einer bedrohten Spezies werden könnten, wird durch die aktuellen Ereignisse angedeutet: So hat Credit Suisse jüngst die Änderung der Abbildungsmethode bei vier ihrer 16 synthetischen ETF auf physische Replikation bekannt gegeben; der australische Anbieter BetaShares hat die Umstellung der zwei einzigen Swap-basierten ETFs auf dem australischen Markt vorgenommen.

Dieser Stimmungsumschwung spiegelt sich auch im gespannten Binnenverhältnis in der ETP-Branche wider: Der ohnehin wackelige Burgfrieden in Europa zwischen iShares und den Anbietern synthetischer ETF, der erst geschlossen wurde, nachdem iShares 2010 eigene synthetische Produkte auf den Markt brachte, ist faktisch aufgekündigt. Und so sind wir wieder in den alten Zeiten angekommen, in denen iShares swap-basierten Produkten den ETF-Status abspricht und die Anbieter synthetischer ETPs auf die Risiken der Wertpapierleihe bei Anbietern physisch replizierender ETF hinweisen. Gut möglich, dass die Regulatoren in der nächsten Zeit entscheiden - und eben nicht die Anleger.

 

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Über den Autor

Jose Garcia Zarate  ist Senior ETF Analyst bei Morningstar