ESG-Ratings: Geballte Verwirrung im ESG-Dschungel?

Das Aggregate Confusion Project der MIT Sloan School of Management untersucht die Qualität von ESG-Ratings von sechs verschiedenen Anbietern. Einen Überblick über den Stand der Forschung und Tipps für Investoren teilte Florian Heeb von der Universität Zürich auf der „Financial Ecosystem“.

Antje Schiffler 16.05.2022
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Investoren können noch nicht auf einheitliche Datensets in Sachen ESG-Ratings zurückgreifen, doch es gibt auch gute Nachrichten. „Die Ratings der sechs untersuchten Anbieter widersprechen sich zwar teils, doch sie bieten ein recht einheitliches Bild, wenn es darum geht, Vorreiter und Nachzügler zu identifizieren“, so das Fazit von Florian Heeb auf der Morningstar-Veranstaltung „Financial Ecosystem“ in Zürich.

Eine Gruppe von Forschern von der MIT Sloan School of Management in Zusammenarbeit unter anderem mit dem Center for Sustainable Finance and Private Wealth (CSP) der Universität Zürich hat im Rahmen des Aggregate Confusion Project (ACP) die Daten von sechs verschiedenen Ratingagenturen (MSCI, Sustainalytics, SPGlobal, Refinitiv, Moody’s ESG und KLD) für 924 Unternehmen untersucht.

Die Ratings sind zwar alles andere als einheitlich, doch sie widersprechen sich auch nicht total, wie die folgende Grafik zeigt. Das Sustainalytics-Rating, das die höchsten Korrelationen mit den fünf anderen Ratings aufweist, dient hierbei als Benchmark.

ESG Ratings

Quelle: Universität Zürich

 

ESG-Ratings: Gründe für fehlende Einheit

Die Forscher haben drei Gründe für die Divergenz bei den Ratings ausgemacht:

  • Der Umfang der ermittelten Datenpunkte (Welche Kategorien sind einbezogen ins Rating?)
  • Die Messung (Wie werden die Kategorien gemessen?)
  • Die Gewichtung (Wie werden die einzelnen Kategorien zusammengestellt?)

Dabei sticht ein Grund als wichtigster Verursacher der Abweichungen hervor: Die Art und Weise, wie die Messung der einzelnen Datenpunkte von statten geht. „Measurement“ fällt mit 56% ins Gewicht, berichtet Heeb. Unterschiedliche Arten, wie das Management von Klimarisiken, Produktsicherheit, Corporate Governance, Korruption und Umweltmanagement gemessen werden, tragen sehr viel zur Abweichung von Ratings bei, so ein wichtiges Resultat der Untersuchung. Diese Kategorien sollten daher dringend priorisiert werden, um die Ratings zu vereinheitlichen, rät das ACP.Ratings Measurement

Quelle: Universität Zürich

 

Andere Bewertungskategorien wie etwa Umweltstrafen, Mitarbeiterfluktuation oder HIV Programme tragen indes nicht wesentlich zu Abweichungen unter den sechs Rating-Agenturen bei.

Zudem: ESG-Bewertungen beruhen auf einer suboptimalen Grundlage. Sie basieren auf nicht standardisierten, ungeprüften Daten. Dies erschwert den Agenturen, ihre Arbeit zu machen und zu neutralen Ergebnissen zu kommen. Doch glücklicherweise sind bessere und umfangreichere ESG-Offenlegungsanforderungen in Sicht.

Schlussfolgerungen für Investoren

Aus den Ergebnissen lassen sich laut Heeb Ratschläge ableiten, wie Investoren durch den Daten-Dschungel navigieren können. Zunächst gilt es zu eruieren, was die Motivation des nachhaltigen Investments sein soll. Soll direkt eine positive Wirkung erzielt werden, wie etwa einen Beitrag zu Eindämmung des Klimawandels zu leisten - beispielsweise in Form von Investments in Solar- oder Windprojekte?

Oder geht es dem Investor eher Werte („ich möchte keinen Profit aus Kohleminen erzielen“) beziehungsweise um den Return („wenn ich Klimarisiken berücksichtige, erziele ich auch bessere Renditen“)? Je nach Motivation werden Anleger unterschiedliche ESG-Daten präferieren – vorausgesetzt, es stehen Fachkräfte zur Verfügung, die die Daten auch entsprechend interpretieren können.

Zudem gilt es, sich die jeweiligen Anbieter und deren Datensets genau anzuschauen. Dabei sollte sich der Investor nicht von der schieren Quantität der untersuchten Indikatoren blenden lassen. Nachdem der Anleger im ersten Schritt die Motivation für das nachhaltige Investment identifiziert hat, können nun im zweiten Schritt die wichtigsten Kategorien und Datenpunkte festgelegt werden. Für diese gilt es, auf Datentiefe zu achten.

Außerdem sollte der Investor einen Blick auf die Methodik der Agentur werfen. Wie transparent legt diese offen, wie sie zu ihren Schlussfolgerungen kommt, welche Maßstäbe verwendet werden und wie sie vorgeht?

Außerdem ist laut Heeb wichtig: Was sind die personellen Kapazitäten? Es lohnt sich ein Blick darauf, wie viel Zeit die jeweilige Agentur darauf verwendet, um das einzelne Unternehmen zu bewerten und die einzelnen Datenpunkte zu erheben.

3 Erkenntnisse für Investoren:

  1. ESG-Ratings sind uneinheitlich, aber sie geben eine grobe Unterscheidung zwischen Spitzenreitern und Nachzüglern
  2. Der größte Teil der Diskrepanz ist auf inkonsistente Daten zurückzuführen
  3. Um Verwirrung zu vermeiden, sollten Sie sich zunächst darauf konzentrieren, warum Sie ESG-Daten nutzen wollen, und dann die Details klären.

 

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Über den Autor

Antje Schiffler  ist Redakteurin bei Morningstar in Frankfurt.