Coronavirus-Korrektur: Abwarten, Tee trinken – und unbedingt die Hände waschen!

Kommt es zum Schwur, erweisen sich in einer Aktien-Korrektur so manche Vorsätze von Anlegern als Muster ohne Wert. Ein Plädoyer für Besonnenheit angesichts der scharfen Wochen-Korrektur.

Ali Masarwah 28.02.2020
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Es ist natürlich bitter, wenn binnen Wochenfrist der Wert des eigenen Aktiendepots um zehn Prozent oder mehr einbricht. Das ist in dieser Woche bestimmt hundertausendfach passiert. Der US-Leitindex S&P 500 sackte bis gestern Abend um gut 13 Prozent ab. Das entspricht in etwa auch der Größenordnung der Verluste beim DAX 30 Index. Spielbildlich dazu legten sichere Euro- und Franken-Anleihen deutlich zu. Eine bittere Pille für die Freunde der TINA-Alternativ-These, die sichere Anleihen scheuen wie der Teufel das Weihwasser und alles auf die Aktien-Karte gesetzt haben.

Anleger treibt die Angst vor der Ausbreitung des Corona-Virus um. Die Situation ähnelt ein wenig der Lage Anfang 2018, als es kurzzeitig ebenfalls ernst aussah. Damals schickte die Straffung der US-Geldpolitik durch die US-Notenbank die Märkte auf Talfahrt. Vielen Investoren haben seinerzeit das Bonmot ernst genommen, wonach eine Hausse nicht an Altersschwäche, sondern durch die Zinssteigerungen der Notenbanken stürbe.

Deutlich esoterischer ging es im Sommer 2019 zu, als im Zuge der Debatte um die Inversion der US-Zinsstrukturkurve viele Anleger die präventiv vor seriösen Rezessionsindikatoren die Reißleine zogen. Eine Überreaktion, die zu Recht nach wenigen Wochen wieder vergessen war.

Allerdings lässt sich heute über die Lage Anfang 2018 und im Sommer 2019 recht klar urteilen, weil die Ereignisse hinter uns liegen. Damals herrschte Unsicherheit, weil man sich schließlich nicht über den Ausgang der vermeintlichen Krisen im Klaren sein konnte. Man kann nun Mutmaßungen darüber anstellen, wie schwer die Ausbreitung des Corona-Virus Folgen die Weltwirtschaft mit ihren globalisierten Lieferketten treffen wird. Aber genau das ist das Problem: Wir können mutmaßen, aber wir wissen es nicht.

In volatilen Börsenzeiten stehen Anleger immer wieder vor der Frage, ob, und, - wenn ja - wie sie auf Ereignisse reagieren sollten. Eine typische Anlegerregel lautet, dass man an Tagen wie heute nicht auf das Portfolio schauen sollte. Auch wenn das prinzipiell ein guter Ratschlag ist, so wissen wir alle, dass man dies realistischerweise nicht erwarten kann. (Auch ich habe natürlich heute Morgen mein Portfolio in Augenschein genommen!).  Denn Anleger hassen nichts so sehr wie die Unsicherheit. Was tun, also?

Buchverluste bleiben bis auf Weiteres Buchverluste

Zunächst gilt es anzuerkennen, dass uns unser Gehirn oft Streiche spielt. Die Verluste der vergangenen Tage sind bitter. Aber sie sind Buchverluste. Sie werden erst dann real, wenn wir handeln, sprich: verkaufen.

Doch warum neigen wir dazu, das sprichwörtliche Scheunentor erst dann zu schließen, wenn das ebenso sprichwörtliche Pferd ausgebüchst ist? Hier kommt das Thema Behavioral Finance ins Spiel, eine Disziplin der Finanzwissenschaft, in der das Anlegerverhalten in den Mittepunkt der Analyse gerückt wird. In Anbetracht eines Schockerlebnisses löst unser Gehirn typischerweise einen Fliehreflex aus: Um Leib und Leben zu retten flüchten Menschen im Angesicht einer Gefahr. Doch was in der weit zurückreichenden Menschheitsgeschichte lebensrettend war, hat in der Börsenwelt von heute keinen Platz. Es geht nicht um unser Leben, sondern „nur“ um unser Geld. 

Nach dem erfolgten Kurssturz zu verkaufen mag logisch zu erklären sein, sinnvoll ist es nicht, sondern schädlich. Das Vergangene ist nun einmal vergangen, und der Depotstand von vorgestern lässt sich nicht wiederherstellen.

Dieses Verhalten ist übrigens auch mit dem so genannten Anchoring-Phänomen zu erklären. Wir haben die Höchstkurse der vergangenen Wochen als maßgeblich für den Markt identifiziert und versuchen nun, durch einen Ausstieg „den Schaden“ zu minimieren. Doch der Schaden – der Kursverlust – entsteht erst durch unser Handeln.

Wer die Neigung zu Affekthandlungen als kontraproduktiv identifiziert hat, kann jetzt in aller Ruhe überlegen, was zu tun ist. Es gilt also, sich zurückzulehnen und von den blinkenden Kurstafeln gedanklich zu lösen und rationale Überlegungen anzustellen:

Wie langfristig sind unsere finanziellen Ziele?

Vielen Depots liegen sehr weit in die Zukunft gerichtete Ziele zugrunde. Wer noch eine Ansparphase von zehn, 15 oder 20 Jahre vor sich hat, den dürfte der Rückfall des DAX auf das Niveau von Anfang Oktober 2019 – mehr ist derzeit nicht passiert! – nicht wirklich beeinträchtigen. Eine derartige Langfristbetrachtung ist ein Kontrapunkt zu den verrückten Geschichten, die sich in unseren Köpfen abspielen, wenn wir einen Marktabschwung sehen.

Wer ruft warum zum Ausstieg?

Häufig sitzen Anleger Marktschreiern auf, die sie entweder zu teuren Transaktionen bewegen oder ihnen auf anderen Wegen das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Etwa in Gestalt so genannter Crash-Ratgeber oder Fonds, die angeblich „krisenfest“ investieren. Die Frage „Cui Bono?“, wem nützt es, zu stellen, lässt den Handlungsdruck fast schon automatisch in sich zusammenfallen. Dann entlarven sich die alarmistisch daherkommenden Crash Gurus mit ihren Scheinalternativen quasi von selbst.

Techniken wider übereilte Entscheidungen

Natürlich schauen auch viele Anleger, die mittel- oder langfristige Ziele verfolgen, häufiger auf die täglichen Kursbewegungen, wenn es bergab geht. Diese Neigung zu bekämpfen, ist oft unrealistisch. Daher sollten Anleger absichtlich nach alternativen Quellen für eine Auseinandersetzung suchen. Setzen Sie sich kurzfristige Regeln, die dennoch auf eine Entschleunigung hinauslaufen. Stellen Sie klare und realistische Regeln auf. Etwa nicht mehrfach täglich, sondern nur zweimal wöchentlich ins Depot zu schauen. Oder eine fixe Wartezeit zu definieren, bevor es überhaupt in Frage kommt, Änderungen im Portfolio vorzunehmen. Mit anderen Worten: Entwickeln Sie Techniken, die Sie von übereilten Entscheidungen abhalten.

Die Aktivität richtig dosieren

Sich zu disziplinieren und sich vor eigenen Affekten zu schützen, bedeutet nicht, passiv zu investieren. Keiner investiert passiv. Auch wer in ETFs investiert, setzt eine Investment-These um. Also sind auch Indexfonds-Investoren höchst aktiv. Sie verfolgen eine Dividenden-Strategie? Dann stellen Sie sich gegen den Markt, weil sie annehmen, dass Dividenden-Fonds besser performen als die klassischen Marktindizes, die kapitalisierungsgewichtet sind. Sie fahren ein gleichgewichtetes Portfolio? Dito, das ist sehr aktiv, weil Sie dann davon ausgehen, dass Nebenwerte besser laufen werden als Standardwerte. Sie investieren lieber weniger in den USA und mehr in Europa? Dann sind Sie vermutlich ein Value-Investor. Ändert sich nun Ihre Investment-These, dann sollten Sie durchaus Ihr Portfolio umschichten, etwa weniger auf Dividenden-Strategien setzen, stärker das Prinzip der Marktkapitalisierung zu berücksichtigen, oder weniger in Europa zu investieren. Es ist legitim und nötig, regelmäßig Ihre Investment-These zu überprüfen und zu handeln. Aber das sollte idealerweise passieren, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Das kann einfacher sein, als man denkt. Stichwort Coronavirus: Zu wissen, dass sich die Reisebewegungen von Menschen heute kaum kontrollieren lassen, hätte es ermöglichen können, die viel zu spät erfolgten Quarantäne-Maßnahmen der chinesischen Führung als hektischen Aktionismus und somit wenig erfolgversprechend zu durchschauen. Erst heute auf die Ausbreitung des Coronavirus zu reagieren, kommt doch sehr spät und ist vermutlich wenig durchdacht. Zumal es auch gut ausgehen könnte.

Alternative Narrative entwickeln

Schaffen Sie ein alternatives Narrativ zu den fallenden Kursen. Deuten Sie die Kursverluste aus der Sicht des Schnäppchenjägers. Dann kann das Motto nur lauten: Der Gewinn liegt im Einkauf! Überlegen Sie sich, wann die Märkte für Sie ein attraktives Einstiegsniveau bieten. Sie fiebern dann unter umgekehrten Vorzeichen mit den Märkten. Sie freuen sich darauf, dass sich die Marke zum Nachkaufen nähert! Sie haben es schon gemerkt: Sie haben zwar exakt dieselben Daten vor Augen wie der panische Anleger von vorhin, doch weil Sie die Tricks kennen, die uns unser in grauen Vorzeiten programmiertes Gehirn spielt, sind Sie in der Lage, zu einem ganz anderen Ergebnis zu kommen als ein unreflektierter Marktteilnehmer, der sich von der Panik des Augenblicks anstecken lässt!

Kleine, hilfreiche Zusatzmaßnahmen

Es gibt noch weitere Techniken, die Sie von übereilten Entscheidungen abhalten können. Etwa in einer ruhigen Minute langfristige Regeln aufzuschreiben, die Sie befolgen wollen, um Ihre finanziellen Ziele zu erreichen. Das führt dazu, dass Sie in volatilen Zeiten diese Regeln immer und immer wieder überprüfen - und eben nicht das Portfolio infrage stellen. Das schützt vor übereiltem Handeln. Sie sollten sich auch davor hüten, die ultimative Perfektion anzustreben. Es ist zwar erwiesen, dass Einmalanlagen zumeist bessere Renditen erzielen als ein scheibchenweiser Einstieg in den Markt. Aber bevor Sie Angst vor der eigenen Courage bekommen und gar nicht investieren, sollten Sie pragmatisch vorgehen und schrittweise in den Markt einsteigen, etwa indem Sie die geplante Investition in mehrere Tranche aufteilen, frei nach dem Motto: Dabeisein ist alles!

Ach ja, der Corona-Virus. Die beste und effektiveste Abwehr gegen das Virus bleibt: Hektische Menschenmengen vermeiden, Hände immer gründlich waschen und regelmäßig einen Tee zur Beruhigung trinken. 

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich