„Mit Bankaktien lässt sich viel Geld verdienen“

Sind Qualitätsaktien zu riskant? Warum laufen Substanzwerte so schlecht? Müssen Value-Manager hellsehen können? Einige Fragen an Marc Renaud, Manager des Europaaktienfonds Mandarine Valeur und CEO von Mandarine Gestion.

Ali Masarwah 01.10.2013
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Herr Renaud, die Aktienkurse notieren an vielen Märkte nahe den Höchstständen. Vielerorts ist das Unbehagen darüber mit Händen zu greifen. Man traut dem Braten nicht so recht. Was sagt der Value-Manager zur allgemeinen Situation. Ist es für Sie schwierig geworden, günstig bewertete Unternehmen zu finden?

Nein, absolut nicht, und ich würde auch der These, dass die Aktienkurse weit enteilt sind, so nicht zustimmen. Ich vermute, dass das Unbehagen, das Sie erwähnen, eher die deutsche Sicht der Dinge widerspiegelt. Aber der DAX ist nicht überall. In vielen europäischen Ländern wie Frankreich und Spanien notieren die Indizes noch längst nicht bei ihren Höchststanden. 

Alles nur eine Frage der Wahrnehmung?

Natürlich sollten wir nicht so tun, als ob europäische Aktien billig wären. Der Markt hat sich in den vergangenen drei, vier Jahren allerdings nicht in seiner Gesamtheit nach oben bewegt, sondern eher stark gespreizt. Etliche Bereiche, wie etwa skandinavische Aktien, Lebensmittelhersteller und Pharma-Werte, sind ziemlich teuer geworden. Risikoaverse Anleger kaufen heute L´Oréal und Nestlé zu fast jedem Preis, weil sie als sichere Häfen gelten. Aber die sicheren Häfen sind heute nur noch scheinbar sicher. Auch wenn das wunderbare Firmen sein mögen, für Anleger besteht die Gefahr, dass sie lange Zeit kein Geld damit verdienen werden. Dagegen weisen Banken, Versorger und Telekoms nach wie vor hohe Risikoprämien auf. In diesen Sektoren gibt es viele vollkommen unterbewertete Unternehmen.

Risikoaverse Anleger kaufen L´Oréal und Nestlé zu fast jedem Preis. Aber diese sicheren Häfen sind heute nur noch scheinbar sicher.  

Banken waren schon 2011 ihre Favoriten, Sie sind eingestiegen, als die meisten Investoren nicht schnell genug aus dieser Branche flüchten konnten. Seitdem haben sich die Kurse erholt. Wäre nicht die Zeit reif, Gewinne mitzunehmen?

Nein, vorerst nicht. Sie können mit Banken immer noch sehr viel Geld verdienen. Ich bin 2011 früh eingestiegen. Manche würden sagen: zu früh. Ich hatte das Ausmaß der Panik am Markt unterschätzt. Nach der Draghi-Rede im Sommer 2012 (Ende Juni 2012 hatte EZB-Präsident Mario Draghi erklärt, dass die EZB bereit sei, mit allen verfügbaren Mitteln den Euro zu retten, Anm. v. Morningstar) und bis weit in dieses Jahr hinein hatte ich mit Bankaktien einen guten Lauf, und wir sind noch nicht am Ende. Deshalb habe ich den Bankenanteil im Mandarine Valeur nicht reduziert. Anders sieht es bei Versicherungen aus. Da habe ich fast alles verkauft, da meine Preisziele bei Allianz, Axa und Co. erreicht wurden.

Was spricht heute noch für Banken, in einer Zeit, in der die Europäische Zentralbank darüber nachdenkt, die Liquiditätsprogramme zu verlängern und die Bundesbank deutsche Banken Stresstests verschreibt.

Nach wie vor die Bewertungen. Intesa hat eine ordentliche Kernkapitalquote und weist dennoch nur einen Kurs-Buch-Wert von 0,5 auf. Bei BNP Paribas sind es 0,7. Wir stehen erst am Anfang der Erholung. Das klare Bekenntnis der EZB zum Euro hat bei Banken einen ersten Kursschub ausgelöst. Die Risikoprämien haben sich verringert. Aber die konjunkturelle Erholung wird noch einen zweiten Schub auslösen.

Eine konjunkturelle Erholung dürfte auch Rohstoffen zugutekommen. Und Rohstoffaktien sind heute im Mandarine Valeur deutlich gegenüber den Indizes übergewichtet.

Das Bild ist hier nicht so klar, nach dem Motto: Rohstoffe haben gelitten, die Konjunktur erholt sich, also kommen die Zykliker wieder. Das Bild ist eher gemischt. Es gibt einige sehr interessante Aktien aus dem Sektor, wie etwa Arcelor. Aber die meisten Rohstoffaktien habe ich verkauft, weil ich nicht so optimistisch für die Erholung Chinas bin. Nach wie vor sind diese Aktien nicht so stark unterbewertet. Sie haben lange Zeit von der Emerging-Markets-Story profitiert, und jetzt, wo es Fragezeichen bei den Schwellenländern gibt, werden einige Luft verlieren. Ich finde mehr Werthaltigkeit bei Banken, Versorgern und Telecoms.

Versorger haben Sie im Mandarine Valeur allerdings untergewichtet.

Es ist schwierig, für die großen Energieversoger optimistisch zu sein, vor allem für die deutschen, RWR oder Eon. Sie erscheinen günstig, aber es gibt zu viele Fragezeichen hinter der Energiepolitik, so dass es nachvollziehbare Gründe für die niedrigen Kurse gibt. Ich habe nur keine kleine Position von etwa 1% des Fondsvermögens in Eon investiert. Positiver sehe ich das Thema Wasser, weshalb ich eine ziemlich große Position in Veolia halte.

Es ist schwierig, für große Energieversoger wie Eon oder RWE optimistisch zu sein. Hinter der deutschen Energiepolitik stehen zu viele Fragezeichen.

Growth-Fondsmanager haben ein leichtes Spiel in der Kommunikation mit Investoren, denn sie investieren in Unternehmen mit guter Gewinndynamik. Value entzieht sich dagegen dem herrschenden Zeitgeist. Das Argument der Sicherheit ist nicht intuitiv erfassbar. Ein Unternehmen, das nicht an der Börse läuft, hat oft auch ein echtes Problem.

Da kann ich nicht widersprechen, es ist das größte Risiko für Value-Investoren, günstige Aktien zu kaufen, die auf ewig günstig bleiben werden. Ich versuche, diese Tretminen zu vermeiden, indem ich nach einem Auslöser suche, der die Kurse treiben könnte, einem Katalysator gewissermaßen. Wir müssen nicht nur den Grund finden, warum das Unternehmen billig ist, sondern auch den Treiber, der die Unterbewertung abbauen wird. Werden wir nicht fündig, kaufen wir nicht. Wenn bei Problemkandidaten die Wende bevorsteht, dann - und nur dann - kaufen wir! Günstige Aktien ohne Beschleunigungsfaktor muss man vermeiden. Bestenfalls tritt so eine Aktie lange auf der Stelle, schlimmstenfalls wird sie noch günstiger.

Was sind für Sie die klassischen Auslöser, nach denen Sie suchen?

Der einfachste ist der zyklische Auslöser. Die Profitabilität von konjunkturabhängigen Unternehmen ist in einer Rezession niedrig. Dann ist die Talsohle erreicht, und man erkennt recht schnell, wann sich eine Erholung anbahnt. Die Kurse von Unternehmen, die stark mit der Konjunktur gehen, legen zu, wenn sich die Preise und/oder die Volumina anfangen zu erhöhen. Kursbeschleunigend kann sich auch ein Strategie- oder Managementwechsel auswirken, oder der Verkauf von Unternehmensbestanteilen.

Letzteres sind eher die verborgenen Treiber. Sind Sie der Einzige, der um drei Ecken schauen kann und Trends rechtzeitig erkennt? Gerade bei europäischen Standardwerten tummeln sich zahllose Analysten und Fondsmanager, und wenn sich ein Trend anbahnt, handeln doch alle darauf!

Ja, es klingt lustig, was da implizit mitschwingt: Ich bin der Einzige, der sieht, was sich anbahnt, und alle anderen Anleger schauen noch dumm aus der Wäsche, wenn ich bereits eingestiegen bin. So ist es aber nicht. Dass ich dennoch von den Auslösern profitieren kann, liegt in der Anlegerpsychologie begründet: Die meisten Anleger, auch Fondsmanager, sind risikoscheu. Ich unterstelle, dass etliche Investoren bestimmte Entwicklungen bei Unternehmen erahnen und vielleicht sogar in ihrem Szenario berücksichtigen. Aber die wenigsten sind bereit, das Risiko auch zu nehmen und auf den Turn-around zu setzen.

Sind Sie bei Nokia vor der Ankündigung des Verkaufs der Handysparte eingestiegen? Dort sah es katastrophal aus, die Aktie war ausgebombt, der Newsflow war extrem schlecht. Ein Call auf Nokia wäre mit Sicherheit antizyklisch gewesen.

Ich hatte die Aktie tatsächlich in diesem Jahr zum ersten Mal seit Ewigkeiten im Blick. In meinem Universum landen Aktien, die von unserem quantitativen Filter als günstig relativ zu ihrer historischen Profitabilität angezeigt werden. Solche Aktien schaue ich mir dann genauer an. Ich habe mich dagegen entschieden, Nokia zu kaufen. Ehrlich gesagt habe ich keinen Grund  gesehen, es fehlte mir der Auslöser. Wenn eine Wachstumsaktie zu einer Value-Aktie wird, ist das zumeist ein langer Anpassungsprozess, der mit schmerzhaften Verlusten verbunden ist. Man sollte sich nicht beeilen mit dem Einstieg in so ein Unternehmen.

Wenn eine Wachstumsaktie zu einer Value-Aktie wird, ist das zumeist ein langer Anpassungsprozess, der mit schmerzhaften Verlusten verbunden ist.

Sie konnten nicht wissen, dass der Verkauf der Handysparte an Microsoft bevorstand.  Prophezeiungen sind also auch für Value-Manager schwer.

Glauben Sie mir, Value-Investoren müssen keine Propheten sein. Es reicht vollkommen, an den Return to the Mean zu glauben, also an die Rückkehr der Gewinne zu ihren langfristigen Durchschnitten.

Was ist mit den Minenbetreibern? Diese Aktien waren und sind eigentlich immer noch am Boden. Viele Fondsmanager wie Carmignac und Comgest haben erst in diesem Mahr entnervt das Handtuch geschmissen.

Auch hier wäre ein Einstieg verfrüht. Ich halte derzeit ein Prozent an Rio Tinto. Das ist nicht besonders viel. Ich sehe nach wie vor grundlegende Probleme, ja sogar eher negative Katalysatoren. Mit den Minenbetreibern verhält es sich wie mit den großen Ölmultis. Die sind schon seit Jahren billig, und das aus gutem Grund. Das Explorationsgeschäft ist sehr kapitalintensiv, und die Profitabilität der neuen Investitionen geht immer weiter zurück - jeden Tag! Die Firmen müssen also immer mehr investieren, um immer niedrigere Margen zu erzielen. Das mag der Markt überhaupt nicht. Heute sind für Anleger steigende Cashflows das A und O. Bei Minenbetreibern und Ölgesellschaften ist das Momentum negativ, und irgendwann geraten auch die Dividenden in Gefahr.

Was halten Sie vom Anleger als solchen als Katalysator? In diesen Zeiten werden Schwellenländer-Investments in atemberaubendem Tempo liquidiert. Unsere Absatzzahlen für Fonds lassen vermuten, dass zumindest ein Teil dieser Gelder in europäische Aktien investiert wird. Kann das die Kurse treiben?

Das würde ich relativieren. Die gute Nachricht ist, ja: Es fließt wieder Geld in den europäischen Aktienmarkt. Das wird offenkundig von der Entspannung in der Eurokrise angelockt. Ich schätze, dass etwa 80 Prozent der neuen Investments aus den USA kommen, aber das meiste Geld fließt in ETFs. Aktive Manager wie ich profitieren insofern nicht, als unsere Portfolio-Holdings zumeist nicht die großen Indexwerte sind. Die europäischen Investoren sind dagegen nach wie vor sehr risikoavers, die kaufen im Zweifel überhaupt keine Aktien.

Ihr Ansatz ist alles andere als risikokontrolliert, und Ihre Fonds zeichnen sich durch hohe Volatilitäten aus. Ihr Flaggschiff-Fonds hat eine lange Phase der Underperformance hinter sich. Können Sie damit die von Ihnen zitierten risikoaversen Anleger hinter dem Ofen hervorlocken?

Die vergangenen drei Jahre waren wirklich hart, auch wenn wir in den vergangenen 12 Monaten einiges an Boden gut gemacht haben. Ich mache mir keine Illusionen, dass mein Ansatz den meisten Privatanlegern zu riskant ist, und unabhängige Finanzberater empfehlen aus diesem Grund unsere Fonds nicht. Aber zum einen haben wir einen recht stabilen Kundenstamm; diese Investoren kennen unseren Ansatz genau sind bereits seit 20 Jahren in meine Fonds investiert. Zum anderen investieren bei uns in erster Linie Vermögensverwalter und Dachfondsmanager, die ein bestimmtes Szenario spielen wollen. Im Moment wäre das eine Erholung im Value-Markt. Ich möchte nicht zynisch klingen, aber das letzte Mal, das Privatinvestoren pauschal enthusiastisch für Aktien waren, muss zu Zeiten der Tech-Bubble gewesen sein.

Heute kaufen Amerikaner europäische Aktien. Europas Investoren sind dagegen nach wie vor sehr risikoavers, die kaufen im Zweifel überhaupt keine Aktien.

Wie können Sie Anlegern den scheinbaren Widerspruch erklären: Sie sind Value Investor und sollten der Idee nach zu niedrigen Kursen einsteigen und auf dem Hoch verkaufen. Aber de facto ist Ihr Fonds deutlich riskanter als der Markt.

Es gibt viele verschiedene Value-Ansätze. Ich gehe antizyklisch vor und kaufe, wenn der Markt dumme Sachen macht. Wenn es übertrieben stark nach unten geht, steige ich üblicherweise sehr aggressiv ein. Das hat zur Folge, dass mein Fonds in einer Krise ein sehr hohes Beta hat, weil ich die Aktien kaufe, die der Markt nicht mag. Als fundamentaler Anleger steige ich auch meistens vor dem Tiefpunkt ein. Aber der Markt neigt auch dazu, nach oben zu übertreiben. Das verkennen heute viele Anleger, nachdem wir zwei große Aktienkrisen in einem Jahrzehnt gesehen haben. Meine Fonds haben aber 2000 und 2001 eine sehr gute Performance gemacht, weil der Markt in der Tech-Bubble dumme Sachen nach oben gemacht hat. Ich war dagegen in der Dot-Com-Hype sehr defensiv. Insofern entspricht der Eindruck der übermäßig hohen Volatilität nur der heutigen Situation. Das ist nur das halbe Bild.

Warum hat sich Value-Investieren und vor allem Ihr Ansatz in den vergangenen  drei Jahren nicht bezahlt gemacht?

Weil der Markt nach unten verrückt gespielt hat. Weil ich nun einmal an den Return to the Mean glaube und Weltuntergänge für unwahrscheinlich halte, habe ich 2011 Banken wie BNP, Intesa und UniCredit gekauft. Man mag mir Fehler beim Timing vorwerfen, aber mein Ansatz ist konsistent. In den letzten drei und auch fünf Jahren haben wir überhaupt nicht überzeugen können, deshalb bin ich glücklich, dass ich eine längere Performance-Historie aufzuweisen habe. Aber ich mache mir nichts vor: Es wird dauern, bis größere Anlegerkreise zu unseren Fonds zurückkehren. Heute wäre ein sehr guter Zeitpunkt für den Einstieg, aber so antizyklisch agieren die meisten Anleger leider nicht.

Das Interview führte Ali Masarwah

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich