In den von Experten der EZB erstellten makroökonomischen Projektionen vom September wird die durchschnittliche Inflationsrate nun mit 5,6 % im Jahr 2023, 3,2 % im Jahr 2024 und 2,1 % im Jahr 2025 angegeben. Dies ist eine Aufwärtskorrektur für 2023 und 2024 und eine Abwärtskorrektur für 2025.
Reuters hatte zuerst am Dienstag über die revidierten Inflationsaussichten berichtet, was die Geldmärkte dazu veranlasste, die Zinserwartungen von unverändert auf 25 Basispunkte zu ändern: Während der Euro Short Term Rate Forward (ESTR) am Montag eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 40% eingepreist hatte, lag dies am Mittwochabend bei 63%.
Die Aufwärtskorrektur der Verbraucherpreise für die Jahre 2023 und 2024 spiegelt nach Angaben der EZB vor allem höhere Energiekosten wider. So revidierten die Ökonomen der Bank die Inflationsprognose ohne Energie und Nahrungsmittel leicht nach unten auf durchschnittlich 5,1% im Jahr 2023, 2,9% im Jahr 2024 und 2,2% im Jahr 2025.
Der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte sowie die Zinssätze für die Spitzenrefinanzierungsfazilität und die Einlagefazilität werden mit Wirkung vom 20. September 2023 auf 4,50 %, 4,75 % bzw. 4,00 % angehoben.
EZB revidiert BIP-Prognose nach unten
Die Bank musste auch ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum nach unten korrigieren, da die straffere Geldpolitik auf die Realwirtschaft durchschlägt und sich der internationale Handel abschwächt. Die Finanzierungsbedingungen haben sich weiter verschärft und dämpfen zunehmend die Nachfrage, die ein wichtiger Faktor für die Rückführung der Inflation auf ihr Ziel ist, so die Bank. Die EZB-Ökonomen haben ihre Wachstumsprognosen für die Wirtschaft des Euroraums auf 0,7% im Jahr 2023, 1,0% im Jahr 2024 und 1,5% im Jahr 2025 gesenkt.
"Das Dilemma ist, dass die Geldpolitik eindeutig in der Wirtschaft ankommt und das europäische Wachstum seit letztem Herbst weitgehend stagniert", kommentiert Deutsche Bank Research. Die Frage ist nur, ob sie schnell genug wirkt, um das Inflationsziel der EZB von 2% für die Zukunft zu sichern. "Die Zeitverzögerung bei den politischen Maßnahmen bedeutet, dass ein weiterer Rückgang der Inflation wahrscheinlich noch kommen wird. Das Problem für die EZB und die Märkte besteht darin, dass nach wie vor große Unsicherheit darüber besteht, in welchem Umfang und wie schnell dies geschehen wird", so die Deutsche Bank.
Die Nervosität vor dem wichtigen Ereignis war hoch gewesen: Experten waren sich so uneins wie nie gewesen, wie die Entscheidung der Währungshüter ausfallen dürfte, berichtet die Nachrichtenagentur awp. "Die Angst, die Inflation nicht vollständig in den Griff zu bekommen, und das Risiko, zu früh zu stoppen, waren wohl eine größere Sorge als das steigende Rezessionsrisiko in der Eurozone, was die Europäische Zentralbank zu ihrem dazu veranlasste, die Zinssätze seit Juli letzten Jahres zum zehnten Mal in Folge anzuheben", zitiert die Agentur den Chefvolkswirt Carsten Brzeski von der ING.
Keine weiteren Zinserhöhungen im Jahr 2023?
Auf der Grundlage der aktuellen Einschätzung ist der EZB-Rat der Ansicht, dass die Leitzinsen ein Niveau erreicht haben, das - sofern es für einen ausreichend langen Zeitraum beibehalten wird - einen wesentlichen Beitrag zur rechtzeitigen Rückkehr der Inflation zum Zielwert von 2% leisten wird.
"Die niedrigeren mittelfristigen Inflationsprognosen der EZB dürften darüber hinaus dazu führen, dass sich die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihe bei 2,5 Prozent stabilisiert. Erste Zinssenkungen dürften erst im kommenden Frühjahr in Frage kommen", sagte Patrick Barbe, Leiter des Bereichs European Investment Grade Fixed Income bei Neuberger Berman.
Stimmungsumschwung nach Medienbericht
In dem Bericht von Reuters vom Dienstag heißt es, dass die EZB ihre Inflationsprognose für das kommende Jahr anheben wolle und beruft sich dabei auf "eine Quelle mit direkter Kenntnis der Diskussion". Zuvor war erwartet worden, dass die Zentralbank auf ihrer EZB-Ratssitzung ihre Prognose für den Verbraucherpreisindex senken würde. Die nun offenbar erfolgte Kehrtwende in der Inflationserwartung des Gremiuns würde die Argumente für eine Straffung der Geldpolitik untermauern.
Analysten der Deutschen Bank sagten, dass eine Inflationsprognose für 2024 von mehr als 3% keine große Überraschung sei. Aber eine undichte Stelle am Tag vor der Zinsentscheidung sei "ungewöhnlich" für die EZB, so die Analysten.
Auf ihrer letzten Sitzung im Juli hatte die EZB angekündigt, den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25% anzuheben. Das war die neunte Erhöhung in Folge seit Beginn des Zinserhöhungszyklus im Juli 2022.
Christine Lagarde gab nach der letzten Sitzung des EZB-Rats keine Prognosen ab, betonte aber, dass die Inflation voraussichtlich "zu lange auf einem zu hohen Niveau" bleiben werde. Der Rat werde seine Entscheidungen auf der Grundlage der eingehenden Daten treffen, hieß es im Juli. Die nächste Sitzung ist am 26. Oktober. Das Wort Zinssenkung sei in der heutigen Sitzung nicht gefallen, ergänzte Lagarde.
Aktien überwiegend im grünen Bereich
Der Aktienmarkt goutierte die Entscheidung. Der Morningstar Index Switzerland PR lag am frühen Nachmittag 0,76% im Plus. Der Euro ließ ebenfalls Federn.