Für ein wenig weniger Liebe am Valentinstag

Im wahren Leben ist das Ding mit der Liebe erstrebenswert. In der Welt der Kapitalanlage gilt diese Maxime nicht. „Kill your Darlings“ kann manchmal eine sehr gute Empfehlung sein. Einige Gedanken über das so genannte Beliebtheitsparadigma, das uns oft zu überteuerten und künftig wenig rentierlichen Anlageklassen treibt.  

Ali Masarwah 14.02.2020
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Man mag den Valentinstag als perfide Erfindung der Blumen- und Zuckerwaren-Industrien verlachen. Aber der Gedanke hinter diesem Anlass ist ein schöner, den man jeden Tag beherzigen sollte: einem geliebten Menschen seine Wertschätzung zu zeigen. Das Leben ist nur dann lebenswert, wenn Liebe im Spiel ist. Wem das jetzt zu kitschig-klebrig wird, mag sich beruhigen: Ich komme nunmehr umgehend auf die kaltherzige Welt der Kapitalanlage zu sprechen.

Die Bezeichnung "kaltherzig" ist übrigens kein Zufall: So gewinnbringend ein emotional geprägtes Privatleben ist, in der Welt der Geldanlage kann es fatale Folgen haben, sich in seine Investments zu verlieben, ja man muss kalt- und sogar hartherzig sein im Umgang mit seinen Investments! 

Warum sollte man sich nicht in das, was man an Aktien, Anleihen, Fonds, ETFs und Zertifikaten im Portfolio hat, nicht verlieben? Nun ja, dass sie sich dort befinden, ist – hoffentlich – das Ergebnis einer nüchtern-rationalen Analyse. Wenn sich die Investment-These ändert, ist es höchste Zeit, sich von dem einen oder anderen Bestandteil des Depots zu trennen. Das fällt ohnehin schwer. Etwa dann, wenn man sich eingestehen muss, dass man einen Fehler gemacht hat und einen bestimmten Fonds oder ETF niemals hätte kaufen dürfen.

Beim Thema Finanzen dürfen keine Emotionen im Spiel sein

 

Eine noch größere Herausforderung ist es, ein Papier, das Traumrenditen geliefert hat zu verkaufen, weil die Bewertung nicht mehr stimmig ist. Anleger können von den Vergangenheits-Renditen, den atemberaubenden Performance-Schönheiten, regelrecht verblendet sein.

Mit anderen Worten: Man kann sich in seine Investments verlieben. Worin sind heute Anleger verliebt? Die Antwort ist einfach: Auf Ebene der Einzeltitel fallen mir spontan die Aktien von Amazon, Apple, Facebook, Netflix, Tesla ein. Auf ETF-Ebene bieten sich Indexnamen wie den Nasdaq oder S&P 500 an. (Man kann das Spiel auch weiterspielen und sich in Fondsmanager verlieben. Das würde jetzt zu weit führen. Sie haben mitbekommen, worauf ich abhebe.).

Blicken wir auf das Anlegerverhalten in Europa in den vergangenen Jahren, dann fallen die hohen Zuflüsse in US-Aktienfonds auf, oder in globale und US-Wachstumsaktienfonds, Schwellenländer-Rentenfonds und weltweit anlegende Technologie-Aktienfonds ins Auge. Das sind Anlegers Lieblinge! 

Der Haken an der Sache: Das, was uns allzu oft leitet, sind die Vergangenheits-Renditen. Vergangenheits-Renditen liefern dabei durchaus Erkenntnisse über künftige Performance-Chancen. Aber anders als es viele Anleger noch immer glauben. Vergangenheits- und Zukunfts-Renditen stehen zumeist in einem inversen Verhältnis zueinander. Die künftigen Renditen der High-Flyer dürften niedriger ausfallen als in der Vergangenheit. Auch wenn der US-Tech-Aktien-Boom derzeit läuft und läuft: Diese Aktien sind inzwischen en Gros nicht mehr günstig.

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Daher kann ein Blick auf die weniger geliebten Marktsegmente durchaus lohnen. Hier stechen europäische Aktien, vor allem britische hervor. Aber auch amerikanische und globale Substanzwertefonds waren in den vergangenen sehr unbeliebt. Massenhaft zurückgegeben wurden auch Fonds für deutsche Aktien, aber auch Fonds für einzelne Schwellenländer, wie Aktien Indien oder Russland. Natürlich gibt es immer auch gute Gründe für die hohen Mittelabflüsse aus bestimmten Anlagekategorien. Aber diese sind oft das Ergebnis der Extrapolation vergangener Ereignisse auf die Zukunft. 

Britische Aktien sind ein gutes Beispiel für das Unbeliebtheits-Paradigma: Die Standardwerte im FTSE 100 Index haben seit dem Brexit eine schwache Performance gezeigt. Bis die konservative Partei im Dezember 2019 die Labour-Partei in den Parlamentswahlen deklassierte. Als mit dem Wahlsieg von Premier Boris Johnson der Brexit feststand, wich die Unsicherheit aus dem Markt. Investoren wurden sich plötzlich der Tatsache gewahr, dass britische Unternehmen global aktiv sind und deren Geschäftsmodelle auch unter den Bedingungen eines harten Brexits (von dem man nicht weiß, ob er kommen wird) nicht zwangsläufig untergehen werden. Wohl dem, der investiert war: Britische Aktien haussierten kräftig, und das Plus beim britischen Pfund bereitete Investoren aus der Eurozone zusätzliche Freude. 

In einem gut diversifizierten Portfolio sollte man natürlich nie nach dem Top oder Flop Prinzip verfahren. Man sollte sich aber durchaus überlegen, ob das Aktienportfolio heute zu 60 Prozent aus USA-Aktien bestehen muss, wie es im MSCI World der Fall ist. Bewertungen sind dabei ein guter Halt für Investoren, die nach einem Leitfaden suchen. Unser täglich aktualisiertes, globales Morningstar Marktbarometer, das die Bewertungen der globalen Aktienmärkte anhand unserer Aktien-Analyse-Ergebnisse misst, kann ein guter Anfangspunkt für eine bewertungsorientierte Sicht der Märkte sein

Zum Schluss ein paar Argumente, warum Anleger dem Paradigma der Unattraktivität mehr Aufmerksamkeit schenken sollten. Und das nicht nur am Valentinstag: 

Es gibt allgemeine ökonomische Gründe, warum hinter ungünstigen Unternehmens- und Marktmerkmalen gute Renditechancen stecken. Sie entsprechen dem allgemeinen Verständnis von Anlagerisiko. Ein Markt oder Wertpapier könnte weniger Rendite oder niedrige Ausschüttungen liefern als andere. Anleger möchten für solche Quellen der Unattraktivität kompensiert werden. Unattraktive Unternehmen oder Märkte könnten also wegen ihrer hohen Risikoprämie attraktive Investments sein. 

Es gibt auch strukturelle Gründe. Liquide Investments sind einfach zu handeln. Dann gibt es illiquide Papiere, die man nur schwer oder nur zu hohen Kosten loswerden kann. Man kann Renditeaufschläge für illiquide Papiere auch als Ergebnis der unattraktiven Struktur verstehen. 

Bestimmte rechtliche oder anlagetechnische Restriktionen können den Kauf von bestimmten Investments verhindern. Beispielsweise dürfen manche Institutionen nur sichere Bonds mit Ratings kaufen. Nicht-geratete Anleihen werden dagegen oft außen vorgelassen, auch wenn dahinter beileibe keine Pleitekandidaten stecken. Auch dürfen manche Anleger kein Fremdkapital (Leverage) einsetzen. Die Folge ist, dass sie bei ihrer Jagd auf Renditen Aktien mit hoher Volatilität kaufen. Aktien mit niedriger Volatilität werden von solchen Investoren links liegen gelassen, was deren künftige Renditechancen erhöht. Ein anderes Beispiel sind transnationale Handelsrestriktionen oder steuerliche Hürden. Diese Faktoren können die Renditen von Wertpapieren beeinflussen, werden aber gemeinhin nicht als Investment-Risiken angesehen. Sie lassen ein Investment unter Umständen wirklich hässlich erscheinen! 

Schlussendlich gibt es auch anlegerpsychologische Gründe, die in der Behavioral Finance Forschung bereits ergründet wurden. Es ist schon viel darüber geschrieben worden, dass es Anlegern regelrecht Schmerzen verursacht, unbeliebte Wertpapiere zu kaufen bzw. zu halten. Diese Schmerzen sind aber typischerweise mit überdurchschnittlichen Renditen verbunden. Investoren können diese Quelle der Unbeliebtheit in ihrer Investment-Taktik berücksichtigen – und in bare Münze verwandeln. 

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Die Analysen in diesem Artikel basieren auf unserem Tool für professionelle Anleger. Weitere Informationen zu Morningstar Direct erhalten Sie hier

 

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich