Warum uns Footsie und Pfund alles andere als egal sein sollten

Investoren, die als Reaktion auf das wahrscheinliche „hung parliament“ in London mehr Volatilität bei britischen Wertpapieren erwarten, müssen wissen, dass sich britische Assets auch in etlichen breit diversifizierten Fondskategorien tummeln.

Ali Masarwah 09.06.2017
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Anleger dürften seit dem Brexit-Votum vor bald einem Jahr auch in die Rolle politischer Analysten geschlüpft sein. In den vergangenen 12 Monaten wurde politischen Ereignissen (im Vorhinein) eine große Bedeutung zugeschrieben. Das war für die lange Zeit unpolitischen Börsen neu. Nach dem Brexit-Entscheid kamen das Italien-Referendum, die US-Präsidentschaftswahl, die Wahl in den Niederlanden, die französische Präsidentschaftswahl. Und nun die Wahl zum britischen Unterhaus, in der die Konservativen erstaunlich schlecht abgeschnitten und die absolute Mehrheit verfehlt haben. Es droht jetzt ein sogenanntes „hung parliament“, was man getrost als Hängepartie übersetzen kann.

Doch wer sich die politischen Ereignisse in den Kalender eingetragen hat, tat dies zumeist umsonst. Die ersten Reaktionen an den Märkten auf die meisten Wahlen und Referenden waren gemäßigt (Niederlande, Italien) bzw. sogar unerwartet freundlich (USA). Auch dieses Mal passierte wenig: Die britischen Aktienmärkte legten überwiegend zu. Nur das Pfund ging auf Tauchstation.

Nur britische Assets vom Wahlausgang betroffen...

Das Geschehen wird von den Reaktionen von Marktteilnehmern gespiegelt. Mehrheitlich erwartet kaum ein Investmentprofi, das die Wahl in Großbritannien nachhaltige Auswirkungen auf die globalen und europäischen Märkte haben wird. Etwas anders sieht das mit Blick auf die Einschätzungen zu britischen Assets aus.

Michael Metcalfe, Stratege bei State Street, äußerte kurz nach Bekanntgabe der Ergebnisse am Freitag, dass „die politischen Unsicherheiten (nunmehr) erheblich zunehmen werden, und damit auch die für britische Vermögenswerte verlangte Risikoprämie.“ Gemäß einer Einschätzung von BlackRock dürfte das Ergebnis der Wahl am 8. Juni „kurzfristig leicht negativ auf britische Vermögenswerte wirken, weil es zu Unsicherheit führt“. Über Großbritannien hinaus seien größere Folgen für die Kapitalmärkte unwahrscheinlich. „Unserer Ansicht nach ist das Wahlergebnis ein britisches Thema, und wir erwarten keine breiteren Auswirkungen auf die globalen Märkte“, heißt es bei BlackRock. 

Mark Burgess, globaler Aktien-Chef bei Columbia Threadneedle, erwartet, dass das britische Pfund die stärkste Reaktion zeigen wird. Andere Auguren machen geltend, dass sich die Wahl insgesamt positiv auf die Märkte auswirken werde, weil die geschwächte neue, alte britische Regierung einen „harten“ Brexit unwahrscheinlich erscheinen lasse. 

Mein Kurzfazit aus der Zusammenfassung der Reaktionen der Experten lautet: Die Wahl in Großbritannien ist zunächst für global ausgerichtete Investoren kein Thema, wenn überhaupt, dann werden nur britische Assets und vor allem das Pfund leiden. Anleger im deutschsprachigen Raum können sich also beruhigt zurücklehnen.

Aber was heißt hier „nur“?

Doch halt. Können sie das wirklich? Ich meine nein. Denn egal, ob man nun den Ausgang der Wahlen positiv oder negativ deutet, unberührt lassen sollte er uns nicht, da alle, die die Segnungen der Diversifikation kennen und schätzen gelernt haben, höchstwahrscheinlich doch „mit von der Partie sind“.

Britische Aktien und Bonds stecken aufgrund der Größe des britischen Kapitalmarktes in sehr vielen Investmentfonds und das zu ordentlichen Anteilen. Die Portfolios vieler Anleger dürften von den Entwicklungen in Großbritannien also sehr wohl betroffen sein, auch wenn sie nicht dezidiert auf Britannien-Fonds setzen. Das gilt vor allem für typische Aktienportfolios mit Schwerpunkt Europa. Die untere Tabelle zeigt die Gewichtungen britischer Assets in zehn ausgewählten Fondskategorien, sortiert nach der durchschnittlichen Netto-Position britischer Assets.

Tabelle: Gewichtung britischer Assets in ausgewählten Fondskategorien

UK position 

Wie aus der oberen Tabelle hervorgeht, sind typische paneuropäische Nebenwertefonds zu gut einem Viertel in britischen Aktien investiert. Diese Quote ist auch bei europäischen Standardwertefonds und Dividendenfonds zu konstatieren. Selbst globale Aktienportfolios sind zu rund zehn Prozent in britischen Aktien investiert. Aufgrund des Listings vieler Rohstofftitel in London sind auch Schwellenländerfonds auf der britischen Insel investiert. 

Deutlich weniger stark vertreten sind britische Bonds in globalen und europäischen Rentenportfolios. Gerade bei Letzteren zeigt sich die Euro-Schuldenkrise von ihrer freundlichen Seite: Aufgrund der hohen Verschuldung Italiens und Frankreichs sind britische Bonds in den typischerweise nach Schuldenhöhe gewichteten Portfolios nicht so stark vertreten, wie es die hohe UK-Quote bei Aktienportfolios zunächst vermuten lassen könnte. 

Die Passiven sind auch ordentlich in UK dabei

Übrigens stehen die oberen Zahlen in erster Linie für das Verhalten aktiv verwalteter Fonds. Die Britannien-Quote sieht bei passiven Fonds etwas anders aus. Im MSCI World beläuft sich UK-Quote auf gut 6,5 Prozent, also deutlich unterhalb des Niveaus aktiv verwalteter Fonds. Indes ist das Gewicht britischer Aktien in europäischen Aktien-ETFs höher als bei den aktiven Pendants. In der Spitze beläuft sich bei den passiven Nebenwertefonds die UK-Quote auf über 30 Prozent. 

Dass etliche Anleger im deutschsprachigen Raum also sehr wohl von der Entwicklung britischer Assets betroffen sind, sollte nicht mit Alarmismus verwechselt werden. Wir warnen ausdrücklich nicht davor, sich an britischen Firmen zu beteiligen (bei Gilts sollten Euro- und Franken-Anleger vielleicht doch angesichts des Währungsrisikos innehalten). Allerdings plädieren wir dafür, dass Anleger den „Britannien-Schreck“ nutzen sollten, um ihre Portfolios besser kennen zu lernen.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich