„Eine schwache US-Konjunktur gefährdet die Emerging Markets heute weniger als früher“

In den vergangenen Jahren konnten Schwellenländer attraktive Anlagemöglichkeiten bieten. Aber auch an den Emerging Marktes ging die Subprime-Krise nicht spurlos vorüber. Inwieweit sie davon betroffen waren darüber sprachen wir mit Jan Wim Derks von ING IM.

Alexander Ehmann 27.03.2008
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Herr Derks, könnten Sie uns bitte Ihre Anlagephilosophie und -strategie für den ING (L) Invest Emerging Markets erläutern?

ING IM geht bei der Investition auf den globalen Emerging Markets nach einem Core-Konzept vor, das einen attraktiven Ausgleich zwischen Renditeerwartungen und Risiken schafft. Das erfordert eine Analyse der relativen Bewertung des von den jeweiligen Unternehmen gebotenen Ertrags- und Cashflow-Wachstums. Wir betrachten die Einzeltitelauswahl daher als unsere wichtigste Alpha-Quelle. Während die Einzeltitelauswahl auf der Bottom-up-Fundamentalanalyse beruht, stehen viele Ak

tienmärkte in den Schwellenländern unter dem beherrschenden Einfluss makroökonomischer und politischer Faktoren – lokal und regional –, die sich entscheidend auf die Prognosen von Unternehmenserträgen und Cashflows auswirken können. ING IM verfolgt bei der Analyse daher den Top-down-Ansatz, um die Renditeerwartungen insgesamt auf das geschäftliche Umfeld des betreffenden Unternehmens auszurichten. Bei der Länder-Allokation übernehmen wir in der Regel keine wesentlichen Off-Benchmark-Positionen. Wir greifen auf die Einschätzungen und die Expertise unseres Emerging Markets Debt Teams zurück. Sofern unsere Einschätzungen eines bestimmten Marktes weitgehend übereinstimmen und die Anlagechancen überzeugen, gehen wir auch auf Länderebene beträchtliche Positionen ein.

Inwieweit waren die Emerging Markets von der Subprime-Krise betroffen und wie wird es Ihrer Meinung nach in nächster Zeit weitergehen?

Die Subprime-Krise hat in den USA zu einer Konjunkturabschwächung geführt. Der Konjunkturoptimismus der Verbraucher ist in den USA deutlich gesunken. Damit einher geht ein Rückgang der Konsumgüterimporte. Infolgedessen sind auch die Exporte aus den Schwellenländern in die USA rückläufig. Überdies hat die Subprime-Krise weltweit zu einer angespannteren Kreditsituation geführt. Dies wird sich ebenfalls negativ auf das globale Wirtschaftswachstum auswirken und auch die Wachstumsentwicklung in den Schwellenländern beeinträchtigen. Hinzu kommt, dass weltweit der Risikoappetit gefallen ist. Die Mittel fließen daher nicht mehr so ungehindert in die Emerging Markets. Positiv ist jedoch, dass die Rahmendaten der aufstrebenden Volkswirtschaften jetzt in weitaus besserer Verfassung sind als während vorangegangener Konjunkturabschwünge. Damit können sich diese Länder jetzt – zumindest teilweise – gegen eine mögliche Rezession in den USA abschotten.

Glauben Sie, dass die Emerging Markets sich von der US-Wirtschaft abkoppeln könnten?

Unserer Einschätzung nach ist eine konjunkturelle Abschwächung in den USA für die Emerging Markets jetzt eine sehr viel geringere Gefahr als früher. Die Rahmendaten haben sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Boom bei den Rohstoffpreisen hat für die Handelsbilanzen zahlreicher Länder wie Brasilien und Russland erhebliche Erleichterung gebracht; die Währungen dieser Länder sind in der Regel gegenüber dem US-Dollar stark. In vielen Ländern wird der Anstieg des heimischen Verbrauchs und der Inlandsinvestitionen die Exportschwäche teilweise ausgleichen können. Aber auch wenn die Schwellenländer jetzt besser positioniert sind, um den Konjunkturabschwung in den USA unbeschadet zu überstehen, sind die globalen Finanzmärkte unserer Auffassung nach immer noch sehr stark miteinander korreliert. Die schlechte Stimmung am US-Aktienmarkt wird daher auch die Emerging Markets in Mitleidenschaft ziehen.

Welche Bedeutung haben staatliche Investmentfonds, die so genannten Sovereign-Wealth-Fonds, für die Schwellenländervolkswirtschaften? Werden diese Fonds sich stärker an den Aktienmärkten der Industrieländer oder an denen der Schwellenländer orientieren?

Die Schaffung von Staatsfonds in Ländern wie Abu Dhabi, Dubai, Singapur und Malaysia, sowie erst kürzlich in China und Russland, bestätigt die Vermutung, dass die wirtschaftliche Macht sich allmählich von den entwickelten Volkswirtschaften zu den Schwellenländern verlagert. Diese Fonds halten in der Regel weltweit nach den besten Anlagechancen Ausschau, die sowohl in Industrieländern als auch auf den Emerging Markets anzutreffen sind.

Welche Sektoren bzw. Branchen sind für Sie interessant?

ING IMs Aktienuniversum für die Emerging Markets umfasst alle im MSCI Emerging Markets Index enthaltenen Titel sowie weitere namhafte Schwellenländertitel, die nicht in diesem Index vertreten sind. Hinzu kommen Unternehmen, die einen bedeutenden Teil ihrer Erträge auf den Emerging Markets erwirtschaften, das sind ca. 850 bis 900 Aktienwerte. In einem ersten Schritt werden diejenigen Aktien ausgesondert, deren Liquidität nicht ausreicht, um problemlosen Marktein- bzw. austritt zu ermöglichen. ING IM erfasst diese Aktien mit Hilfe eines Liquiditätsfilters, der Titel aufgrund ihrer Marktkapitalisierung und Tagesumsätze eliminiert. Gegenwärtig gelten folgende Liquiditätskriterien:

- Börsenkapitalisierung von über 500 Mio. US-Dollar und

- durchschnittlicher Tagesumsatz von 2 Mio. US-Dollar während der letzten sechs Monate.

Diese Liquiditätsvorgaben werden vierteljährlich überprüft und erforderlichenfalls angepasst. Anpassungen finden statt, wenn sich die Marktliquidität insgesamt bzw. das verwaltete Vermögen geändert hat. Mit der Vorgabe eines Mindesttagesumsatzes soll sichergestellt werden, dass eine Position binnen fünf Geschäftstagen abgestoßen werden kann. Auch wenn die Vorgabe einer Mindestbörsenkapitalisierung ein breites Spektrum an Anlagechancen schafft, so ist die durchschnittliche Marktkapitalisierung des Portfolios in der Praxis weitaus höher. Der vergleichsweise niedrige Wert wurde indes gewählt, damit attraktive Anlagechancen für das Portfolio wahrgenommen werden können, wann immer sie sich bieten. Wir setzen derzeit auf: Brasilien, Peru, Indonesien, Pakistan, Vietnam, Türkei Inlandsnachfrage und Infrastruktur Finanzwerte, Telekommunikation und Industriewerte

Werden sich die russischen Präsidentschaftswahlen im März Ihrer Meinung nach auf die russische Wirtschaft auswirken?

Dmitri Medwedew, einer der engsten Berater Putins, wird als künftiger neuer Präsident sicherlich viele der politischen Unwägbarkeiten ausräumen, von denen die Aktienmärkte in 2007 geprägt waren. Medwedew hat sich zuvor als renommierter Anwalt und versierter Geschäftsmann einen Namen gemacht. Für Investoren ebenso wichtig ist, dass Medwedew unter russischen und ausländischen Beobachtern als Reformer gilt.

Herr Derks, vielen Dank für das Interview.

Jan Wim Derks ist Head of Emerging Markets Equity bei ING Investment Management.

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Über den Autor

Alexander Ehmann