Emerging Markets: Wachstumsmotor und Performance-Chimäre

Noch immer gelten Schwellenländer als ein wichtiger Performance-Treiber für globale Portfolios. Anleger sollten angesichts der ernüchternden Erfahrungen der letzten Jahrzehnte diese Binse endlich hinterfragen. Und auf eine interessante Entwicklung achten.

Ali Masarwah 24.05.2019
Facebook Twitter LinkedIn

Aktien-Investieren ist zugleich auch eine Art Geschichtenerzählen. Das ist nicht verwunderlich, denn auch leidenschaftliche Investoren haben es oft nicht so mit Bilanzenlesen. Erfolgsgeschichten, die sich aus einer G&V herauslesen lassen können, mögen zwar höchst rentierliche Anlage-Perspektiven eröffnen, aber sexy kommen sie für den Otto-Normal-Anleger wirklich nicht daher. Daher werden in der Asset Management Industrie wie auch im Finanzvertrieb gerne spannende, griffige Geschichten erzählt. Das ist nichts Schlimmes, erfordert aber immer wieder Plausibilitäts-Checks durch den Investor.

So auch die Legende von den lukrativen Investment-Chancen von Schwellenländern. Staaten, die sich in einem frühen Entwicklungsstadium befinden, wachsen naturgemäß schneller als die saturierten Ökonomien der entwickelten Länder. Das ist der Base Case für den Reiz der Schwellenländer als Investment-Regionen.  

Ja, so das Argument der Emerging Markets Investoren, das Risiko ist hoch, aber ein höheres Risiko bringe auch höhere Renditen, daher, so die These, seien Emerging-Markets für Langfrist-Investoren attraktiv. Schlagwörter wie die „asiatischen Wunder“ wurden kreiert. Südkorea, um nur ein Beispiel zu nennen, konnte das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 158 US-Dollar (nach heutigen Maßstäben) im Jahr 1960 auf 6.516 Dollar im Jahr 1990 erhöhen! Zwischen 1990 und 2010 belief sich nach IMF-Daten das BIP-Wachstum in asiatischen Schwellenländern auf ein annualisiertes Plus von durchschnittlich 7,8 Prozent.  Die entwickelten Länder brachten es im Schnitt nur auf 2,3 Prozent.

An diesem „Sales Pitch“ der frühen 1990er Jahre hat sich wenig geändert. 

Die Korrelationslogik zu Ende gedacht

Das zweite Argument pro Schwellenländer-Aktien ist die geringe Korrelation zwischen den Aktienmarkt-Renditen der Industrie- und der Schwellenländer. „Unkorrelierte Renditen“, muss man wissen, ist ein Zauberwort, mit dem man vor allem Profi-Investoren hellhörig machen kann. Zeigen die Kurse zweier Investments einen Gleichlauf, spricht man von einer hohen oder sogar perfekten Korrelation, laufen die beiden Investments konträr zueinander sind sie unkorrliert bzw. das Portfolio zeigt dann einen erhöhten Diversifikationsgrad.

Kommen wir zum Fakten-Check. Beide Thesen haben sich in den vergangenen Jahren als wackelig erwiesen, wobei die letztgenannte Behauptung zumindest teilweise korrekt ist. Blickt man auf den Kurvenverlauf von den beiden Indizes MSCI Emerging Markets und MSCI World, dann ergibt sich eine Korrelation aus Sicht des Euro-Anlegers von 0,75 seit 2004. Das ist nicht atemberaubend unkorreliert, aber für Aktienmärkte, die tendenziell ohnehin einen gewissen Gleichlauf aufweisen, gar nicht so übel. Zwischen Mai 2009 und April 2019 lag die Korrelation zwischen MSCI World und MSCI Emerging Markets sogar bei nur 0,69, zwischen 2014 und 2019 bei 0,67, und in den vergangenen drei Jahren bei 0,58, was eine bemerkenswert niedrige Korrelation ist. 

Doch hier kommen wir zur Crux: Wenn Anleger nach einem unkorrelierten Asset für ihr Portfolio verlangen, dann erwarten sie eigentlich, dass dieser Vermögenswert überdurchschnittlich performt. Er muss dann im Plus liegen, wenn ihr Basisportfolio gestresst wird, und er muss überdurchschnittlich im Plus liegen, wenn das restliche Portfolio nur biederte Hausmanns-Performance bietet. Sie erwarten natürlich nicht, dass die niedrige Korrelation dadurch zustande kommt, dass das beizumischende Asset Verluste erwirtschaftet, derweil ihr Basisportfolio gut performt. 

Wenn Anleger nach einem unkorrelierten Asset für ihr Portfolio verlangen, dann erwarten sie eigentlich, dass dieser Vermögenswert überdurchschnittlich performt. 

Doch genau das erklärt das teilweise befriedigende Korrelationsverhalten von Emerging Markets Aktien in den vergangenen Jahren. Im vergangenen Jahr hinkte der MSCI Emerging Markets dem MSCI World um gut zwölf Prozentpunkte hinterher. In den vergangenen fünf Jahren stieg der Index der entwickelten Länder um jährlich zwölf Prozent, während der MSCI Emerging Markets nur um jährlich 8,6 Prozent zulegte. In den vergangenen zehn Jahren lag der jährliche Rendite-Abstand jährlich bei gut 400 Basispunkten. Das ist nicht der Stoff, aus dem Marketing-Träume gemacht ist! 

Allenfalls in den vergangenen 15 Jahren ging die Rechnung ansatzweise auf: Der MSCI Emerging Markets stieg seit Mai 2004 jährlich um 9,2 Prozent, während es der MSCI World auf 7,7 Prozent jährlich brachte. Doch auch das war nicht besonders befriedigend: Die Schwankungsintensität der Märkte, das übliche Maß für Risiko, war bei Schwellenländern erheblich höher. Das bedeutet, dass auch die risiko-adjustierte Rendite, ausgedrückt in der Sharpe Ratio, auch in der 15-Jahressicht bei Emerging Markets geringer war. Der maximale Verlust des MSCI Emerging Markets lag seit 2004 bei 56 Prozent, beim MSCI World bei – auch nicht zu verachtenden – 49 Prozent. 

Tabelle: Entwickelte Länder schlagen SchwellenländerEmerging markets

Hier kommen wir zur ernüchternden Wahrheit: So beeindruckend das Wirtschaftswachstum der Emerging Markets gewesen sein mag und auch sein wird. Das schlägt sich nicht zwingend in der Rentabilität der Unternehmen nieder. Ja, vieles von dem, was in den Ökonomien der Schwellenländer passiert, kennen wir: Dienstleistungen werden erbracht, Waren werden gekauft, Geld wird ausgegeben, und alles wächst wie im Zeitraffer. Aber, überspitzt gesagt, schafft es nur ein kleiner Teil des Geldes aus diesem rasanten Kreislauf in die Taschen der Aktionäre. Gründe dafür gibt es viele. Oft kommt das Wachstum durch gigantische staatliche Infrastrukturprojekte zustande, die nicht nur zur Produktivitätssteigerung beitragen. Auch auf Unternehmensebene wird viel Geld durch nutzlose Wachstumsprojekte verbrannt. Oder es verschwindet in die Taschen von Regierungsbeamten oder von Freunden eines CEOs.

So unsexy diese Story klingen magt: Unternehmen aus den Industrieländern, die in den Schwellenländern Geschäfte machen, haben in der Vergangenheit oft bessere Renditen als die Unternehmen aus den Ländern selbst geliefert. 

ESG-Investments als Lösung? 

Was ist die Moral der Geschichte? Außer Spesen nichts gewesen? Nicht unbedingt. Zum einen ist die Emerging Markets Wachstumsstory ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, laufend seine Investment-Thesen zu überprüfen. Doch es gibt eine weitere Erkenntnis bzw. These, die es zu überprüfen gilt.

Nach vorne blickend spricht gerade die schlechte Corporate Governance von Unternehmen aus den Schwellenländern dafür, wie wichtig es ist, als Investor sich auf die Unternehmen zu konzentrieren, in denen die Grundsätze der guten Unternehmensführung hochgehalten werden. Hier sind wir beim Thema Nachhaltigkeit, ESG, angekommen. Das „G“ wie Governance dürfte für Aktionäre künftig ein guter Leitfaden sein für Investments in Schwellenländern. Wir haben immer wieder festgestellt, dass Schwellenländer-Aktienfonds mit Nachhaltigkeits-Mandat ein überlegenes Rendite-Risiko-Profil gegenüber konventionellen Schwellenländerfonds aufweisen. Es könnte sich also lohnen, einen genaueren Blick auf Unternehmen aus den Emerging Markets mit guten ESG-Scores zu werfen. 

Die Analysen in diesem Artikel basieren auf unserem Tool für professionelle Anleger. Weitere Informationen zu Morningstar Direct erhalten Sie hier

Facebook Twitter LinkedIn

Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich