Warum ETFs doch nicht auf Wasser gehen können

Indexfonds haben nicht den Anspruch ihre Benchmark zu schlagen. Oder etwa doch? Es kommt ganz auf den Index an. Ein Blick in ein bisher wenig beachtetes Kuriositätenkabinett. 

Ali Masarwah 16.06.2017
Facebook Twitter LinkedIn

Indexfonds sind dazu verurteilt, schlechter abzuschneiden als der Index, den sie abbilden. ETFs handeln mit Wertpapieren, und sie erheben Gebühren. Das kostet Geld und geriert ihnen beim Vergleich mit ihrem Index zum Nachteil, weil in ihm keine Kosten einkalkuliert sind. Das ist eine Binse und war in der Vergangenheit die Achillesferse der passiven Vehikel, welche die Industrie der aktiven Asset Manager auszunutzen verstand. Deren Marketing-Botschaft 1.0 lautete wie folgt: "Aktive Manager übertreffen den Index, Indexfonds sind dagegen die sicheren Verlierer." In den USA wurden Indexfonds aus diesem Grund in der Vergangenheit sogar gelegentlich als "unamerikanisch" gebrandmarkt. Ihnen fehle schlicht das Sieger-Gen, so die implizite Botschaft.

Anleger kaufen den aktiven Managern ihre Marketing-Botschaften nicht mehr ab

Nachdem immer mehr Anleger spitzbekamen, dass die Mehrheit der aktiven Manager eben nicht ihren Index übertreffen konnte, zündeten die aktiven Manager die zweite Marketing-Ausbaustufe: "Ja, die Mehrheit der aktiven Manager übertrifft ihren Vergleichsindex tatsächlich nicht. Wir aber schon." In Summe mutet die Marketing Botschaft 2.0 an wie die Umfragen, wonach 50-60 Prozent der befragten Autofahrer glauben, dass sie zu den besten 30 Prozent der Autolenker gehören.

Dass inzwischen immer mehr Anleger mit den Füßen abstimmen und von aktiven zu passiven Vehikeln umschichten, zeigt, dass sie den aktiven Managern auch diese Story nicht mehr abkaufen. Die USA sind hier Vorreiter, aber auch in Europa wachsen passive Fonds sehr stark.

Doch was macht die ETF-Industrie aus diesen Vorgaben? Sie wandelt mit traumwandlerischer Sicherheit auf dem identischen Pfad, den aktive Manager beschritten haben und deren Preis sie derzeit zahlen. Indexfondsanbieter heben immer mehr ihre vermeintlichen Alpha-Qualitäten hervor. Mittel und Wege dafür gibt es viele. Bereits seit geraumer Zeit nehmen viele Indexfonds (bzw. im Ergebnis ihre Anleger) mit der Wertpapierleihe zusätzliche Risiken auf sich, um die ETF-Rendite zu steigern. Noch wichtiger für die ETF-Industrie ist heute das Thema "Smart Beta", das wir als "Strategic Beta" beschreiben. Hier geht es darum, tatsächliche oder vermeintliche strukturelle Faktoren für Überrenditen gegenüber klassischen Indizes zu ermitteln und auszunutzen.

Derweil stricken ETF-Anbieter kräftig ihrerseits an der Alpha-Legende 

Doch es gibt noch einen weiteren Ansatz, auf den Indexfondsanbieter gerne zurückgreifen, um auch klassischen ETFs, also solchen, die kapitalisierungsgewichtete Indizes abbilden, zu mehr Performance zu verhelfen. Die vermeintlichen Alpha-Qualitäten der so genannten Plain-Vanilla-Indextracker sind inzwischen ein Standardrepertoire und gehören doch ins Kuriositätenkabinett. Worum es genau geht? Fangen wir mit einem Blick auf die untere Tabelle an.

Wir haben einige sehr beliebte, also sehr große, ETFs aufgeführt, die allesamt klassische, nach den Regeln der Marktkapitalisierung gewichtete Indizes abbilden. Angesichts der eher mageren Leihe-Erträge müssten solche Standardwertefonds zwangsläufig ihrem Vergleichsindex hinterherhinken, da sie Transaktionen tätigen und Gebühren erheben. Diese Faktoren schmälern die Performance, wohingegen beim Indizes keine Kosten anfallen. Oder gilt diese Regel etwa doch nicht? Ein Blick auf die rechte Spalte der unteren Tabelle zeigt die relative Rendite gegenüber dem Fonds-Index, der in der Spalte links daneben abgebildet ist. Die grüne Markierung deutet an, dass alle ETFs in den vergangenen drei Jahren ihren Index übertroffen haben.     

Tabelle: Outperformer ad portas? Relative Renditen großer ETFs gegenüber ihren Indizes

Etf wassergeher

Wie kann das sein? Können ETFs auf Wasser gehen? Die für ETF-Fans vermutlich ernüchternde Antwort lautet: natürlich nicht! Lösen wir das Rätsel auf. Dafür wird es etwas technisch, der Sachverhalt ist aber eigentlich einfach. Es geht im Kern um die Frage, welche Performance-Bestandteile der Vergleichsindex im Vergleich zum ETF enthält. Dafür stellen wir in Kürze vier verschiedene Index-Berechnungs-Methoden vor, die sich mit Blick auf die Berechnung von Dividenden sowie deren steuerliche Behandlung unterscheiden. Wir führen dann die Folgen für die ETF-Performance aus. 

1. Einer der häufigsten Wege, die Wertentwicklung eines Index zu verfolgen, ist der Blick auf den Gesamtertrag. Im Englischen ist das der so genannte Total Return. Diese Methode wird mit „TR“ abgekürzt. Sie beinhaltet alle Ertragsquellen der Wertpapiere im Index. Darin sind Kursgewinne oder -verluste aus den Veränderungen des Aktien- oder Bond-Kurses enthalten, aber auch Dividenden und Zinserträge aus den Wertpapieren im Index. Eventuell anfallende Quellensteuer auf Dividenden wird nicht berücksichtigt. Man spricht hier auch von der Bruttodividenden-Methode. Im deutschsprachigen Raum steht der DAX für die bekannteste TR-Indexfamilie. Kein ETF, der einen TR-DAX/-MDAX/-SDAX/-TecDAX Index abbildet, weist längerfristig eine positive relative Rendite aus. Hier sind ETFs tatsächlich die sicheren Verlierer.

2. Viel gängiger ist in der Index-Welt das Kürzel „PR“. Es steht für die Berechnungsmethode, die ausschließlich auf Änderungen der Preise bzw. Kurse der zugrundeliegenden Wertpapiere, abhebt. PR steht für Price Return. Die PR-Methode ignoriert alle Zinserträge oder Dividenden, die durch Bestandteile des Index erzeugt werden. Der Blick liegt somit rein auf den Kursbewegungen, Dividenden werden nicht reinvestiert. Für Anleger aus Deutschland mag das exotisch klingen, aber international gilt vielmehr der TR-DAX als Exot. Weltweit sind PR-Indizes weitaus gängiger als TR-Indizes, auch wenn es inzwischen gang und gäbe ist, alle möglichen Index-Varianten zu berechnen. Wichtig ist es festzuhalten, dass ETFs fast ausnahmslos PR-Indizes übertreffen. Der Grund: ETFs sind Fonds und Ausschüttungen werden bei der Berechnung der Fonds-Renditen miteinbezogen. Das hat allerdings nichts mit Outperformance zu tun, sondern ist nur der unterschiedlichen Behandlung von Dividenden geschuldet. 

3. Aufmerksame Leser der oberen Tabelle werden festgestellt haben, dass es sich bei den ETF-Benchmarks ausschließlich um Indizes handelt, die mit dem Kürzel "NR" versehen sind. Es handelt sich um den so genannten Net Return-Ansatz, der die Nettodividenden-Methode anwendet. NR-Indizes setzen den maximalen Quellensteuersatz auf Dividenden an. Die Quellensteuer ist als eine Vorauszahlung auf etwaige Ertragssteuern des Steuerschuldners oder als Abgeltungssteuer konzipiert.

Viele ETF-Anbieter (bzw. ihre Investoren davon) profitieren davon, dass sie sich steuerlich in vielen Ländern registrieren lassen und somit Steuerinländer sind. Diese sind typischerweise in der Lage, sich die lokalen Quellensteuern teilweise zurückzuholen. NR-Indizes werden dagegen so berechnet, dass sie die Realität eines Anlegers widerspiegeln, der nicht steuerlich in dem betreffenden Land registriert ist, in dem die Dividenden anfallen bzw. ausgeschüttet werden. ETFs sind also oft in der Lage, sich die Steuern teilweise zurückzuholen, die bei NR-Indizes vollumfänglich angerechnet werden. Das ist der Grund, warum sehr viele ETFs eine Outperformance gegenüber NR-Indizes ausweisen.

4. Doch es geht auch anders. Indizes, welche die Bruttodividende als Berechnungsgrundlage verwenden, setzen die Wiederanlage der Dividenden ohne Abzug von Steuern voraus. Dieser Bruttorenditeansatz oder Gross Return-Ansatz wird mit „GR“ abgekürzt. Wie auch beim TR-Ansatz gibt es kaum ETFs, die in der Lage sind, die GR-Variante eines Index zu übertreffen.  

NR- und GR-Indizes: Kleiner aber feiner Unterschied für die ETF-Performance

Natürlich ist es für Anleger erfreulich, dass ETF-Anbieter in der Lage sind, die Erträge aus Dividenden oftmals steuerlich zu ihren Gunsten zu optimieren. Allerdings müssen sie sich im Klaren sein, dass die daraus resultierende Outperformance darauf beruht, dass sich ein Steuerinländer, also der ETF-Anbieter, mit einem Steuerausländer, dem NR-Index, vergleicht. ETFs, die einen NR-Index übertreffen, können also nicht auf Wasser gehen. Hier werden vielmehr, steuerlich gesehen, Windhunde gegen Fußkranke laufen gelassen. Gegen einen Index, der nach der Brutto-Methode berechnet wird, bekämen unsere Windhunde indes derart viel Gegenwind, dass die relative Rendite nunmehr rote Vorzeichen hätte. Das geht aus der Tabelle hervor, in der wir die oberen Angaben um die relative Rendite der ETFs gegenüber TR- bzw. GR-Indexvarianten ermittelt haben. Aus der Outperformance ist nunmehr die Underperformance geworden, die man intuitiv auch bei Indexprodukten vermuten würde: sehr gering zwar, aber doch signifikant.

Auf die oben erwähnte Marketing 1.0 Sprack gemünzt sind ETFs, die gegen NR-Indizes laufen, also richtiggehende Siegertypen und keinesfalls "unamerikanisch". Aber eigentlich ist der Markt längst nicht mehr an dem Punkt, an dem solche Kabinettstückchen entscheidend wären. Viele Anleger sind unzufrieden mit der Performance aktiv verwalteter Fonds und schichten deshalb in günstige passive Vehikel um. Egal, ob diese nun NR-, GR-, PR- oder TR-Indizes abbilden.       

Tabelle: NR oder GR/TR? Die relative Rendite zehn ausgewählter großer ETFs 

ETFs auf wasser

Facebook Twitter LinkedIn

Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich