Brexit: Die Geschichte zweier Branchen

Der anstehende Brexit verdeutlicht exemplarisch die Unterschiede zwischen konjunktursensitiven Branchen und Zyklikern: Welche Folgen der Ausstieg Großbritanniens aus der EU auf europäische Telekoms und Banken haben wird.

Ali Masarwah 28.06.2016
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Am 23. Juni haben die Wähler im Vereinigten Königreich entschieden, die Europäische Union zu verlassen. Wir wollen die höchst unterschiedlichen Folgen für zwei wichtige Branchen skizzieren: die höchst zyklische Bankenbranche versus die deutlich defensiveren Telekoms. 

Die europäische Finanzbranche

Die Brexit Abstimmung wird weitreichende Auswirkungen auf die Unternehmen auf unserer Berichterstattungsliste haben. Wir planen, unsere Fair-Value-Schätzungen für mehrere britische Banken zu senken - darunter Barclays, Royal Bank of Scotland und Lloyds. Wir werden in diesem Zusammenhang auch die Folgen für Banken wie Banco Santander taxieren, die in Großbritannien aktiv sind. Wir erwarten, dass die Finanzbranche in Großbritannien erhebliche Unsicherheit und Volatilität erleben wird, derweil Großbritannien versucht, die Beziehungen zu den EU-Ländern neu zu ordnen bzw. zunächst aufzulösen.

Die negativen Folgen werden zudem auch langfristiger Natur sein. Das Wirtschaftswachstum Großbritanniens wird gedämpft, und die Bedeutung des Finanzplatzes London wird im Zuge dessen geringer.

Wir halten auch ein Wiederaufkommen der schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen für wahrscheinlich, was zu weiteren Turbulenzen im Gesamtsystem und insbesondere bei den in Edinburgh ansässigen Banken Lloyds und Royal Bank of Scotland führen könnte. Am Ende könnte die Umsiedlung der Zentralen dieser Banken anstehen.

 

HSBC von Brexit wenig betroffen

Ungeachtet der weitreichenden, negativen Auswirkungen des Brexits auf die Bankenbranche gibt es - wenn auch sehr wenige - Chancen für Anleger zu heben. Die Bank HSBC etwa hat wenig Exposure zur britischen Wirtschaft. Sie ist auf Asien konzentriert. Aktuell sehen wir die HSBC-Aktie als unterbewertet. Wir taxieren den Wert der HSBC ADRs auf 40 US-Dollar. Am Dienstagnachmittag notierten die Papiere in New York bei 29,78 Dollar).

Kommen wir zu den ökonomischen Folgen für die europäischen Banken. Wir erwarten höhere Refinanzierungskosten für Banken in Großbritannien, ein deutlich niedrigeres Kreditwachstum, eine Folge des reduzierten Wirtschaftswachstums, das wir in den nächsten Jahren zwischen 3% und 6% niedriger taxieren. 

Auch die innerhalb der Bankenbranche eher defensivere Asset-Management-Branche sowie das Investment Banking werden von den Volatilitäten der Aktien-, Renten- und Währungsmärkte betroffen sein. Bei letzteren Wir sehen Risiken insbesondere für Barclays und Royal Bank of Scotland, da diese über große Investment Banking-Einheiten verfügen. Auch dürften die Provisionen aus dem Investment Banking um bis zu 50% einbrechen. Internationale Banken wie JP Morgan Chase dürften zudem hohe Personal- und Rechtskosten schultern müssen, die ein Abzug von Personal aus London mit sich bringt. 

Die Vermögensverwaltungsbranche dürfte gleich doppelt vom Brexit betroffen werden, einmal durch einen weiteren Rückgang der ohnehin sinkenden Verwaltungsgebühren und zum anderen durch das schrumpfende Vermögen infolge von Marktturbulenzen bzw. Geldabflüssen der Anleger. 

Die Probleme im Bankensektor sind übrigens nicht auf Großbritannien beschränkt. Auch in anderen Ländern der Europäischen Union gibt es politische Bewegungen, welche dem britischen Beispiel folgen und eigene Referenden durchsetzen möchten. Die daraus resultierenden politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen werde auch Auswirkungen auf die Banken in Südeuropa haben, wie etwa UniCredit, Intesa Sanpaolo und Societe Generale. 

Die europäische Telekombranche

Die Angst vor den Auswirkungen eines britischen Austritts aus der EU hat die Preise der meisten europäischen Telekom-Aktien ebenfalls nach unten gedrückt. Hier sind wir indes der Meinung, dass dies eine Überreaktion ist, da der Telekomsektor recht immun gegen geopolitischen Veränderungen ist.

Aus unserer Sicht wird der Brexit keine Auswirkungen auf die grenzüberschreitende Übertragung von Sprache oder Daten haben. Die Mobilfunk-Tarife sind bereits im Sinkflug, unabhängig des Brexits, und die Branche wird sich stabilisieren.

Insgesamt sehen wir keine negativen Folgen für die britischen Telekomanbieter. Das gilt auch für die europäischen Telekomanbieter insgesamt. Deshalb werden wir die Fair-Value-Schätzungen in den lokalen Währungen stabil halten. (Positive) Ausnahme ist Vodafone, wo wir planen, den geschätzten fairen Wert leicht zu erhöhen. 

Zwei Details seien noch erwähnt: BT Group könnte zwar einerseits von der schwächelnden britischen Wirtschaft getroffen werden. Allerdings verfügt der Konzern auch über internationale Geschäftsaktivitäten, die wiederum den Konzerngewinn stabilisieren - das Schwache Pfund Sterling macht es möglich.

Das gleiche gilt für den Pay-TV-Sender Sky. Auch hier wird sich die Akquisition von Sky Deutschland und Sky Italia wegen der erwarteten Pfund-Schwäche höher bezahlt machen, als wir das vorher erwartet haben. Diese positiven Effekte dürften eine etwaige Abschwächung im Großbritannien-Geschäft überkompensieren. 

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich