Brexit – bei Fonds alles halb so wild?

Wir haben uns die Großbritannien-Positionen in pan-europäisch anlegenden Fonds angeschaut. Bis Ende April hatte der mögliche Austritt Großbritanniens aus der EU keine großen Wellen bei Europafonds geschlagen. Ein Blick auf die Zahlen und was sie uns sagen könnten.

Ali Masarwah 27.05.2016
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Der mögliche Austritt Großbritanniens aus der EU gilt als einer der vielen Stolpersteine für Aktien-Anleger in diesem Jahr. Die Schwäche Chinas, Zinserhöhungen in den USA und das anämische Wachstum in der Eurozone werden immer wieder von der Sorge um den Ausgang des Referendums in Großbritannien am 23. Juni überlagert. An dem Tag entscheidet sich der Ausgang über die lang diskutierte Frage, ob das Land in der EU bleibt. Es geht um viel: Gemäß einer aktuellen Untersuchung würde der Austritt die britische Wirtschaft in eine tiefe Rezession stürzen und möglicherweise 500.000 Jobs vernichten. 

Hat ein Brexit das Zeug zum "Tail Risk"?

Wir wollten schauen, ob die Debatte um den Verbleib Großbritanniens in der Eurozone Folgen für paneuropäisch investierenden Fonds gezeitigt hat. Wir haben untersucht, wie aktiv verwaltete Europa-Standardwertefonds heute im historischen Vergleich in britischen Aktien positioniert sind. Unsere Fonds-Datenbank basiert auf den vollen Portfolio-Holdings, insofern können Kategorie-bezogene Analysen einiges über die Ausrichtung von großen Gruppen von Fonds aussagen.

Die Analyse über das, was Fondsmanager tun, ist eine willkommene Abwechslung für Investoren, die in der Regel nur über Umfragen erfahren, was Fondsmanager sagen. Erst jüngst hieß es schließlich in einer bekannten Fondsmanager-Umfrage, dass der Brexit als größtes "Tail-Risko" eingeschätzt würde. (Auf die Frage, ob ein derart intensiv diskutiertes Risiko wirklich im Bereich von drei Standardabweichungen angesiedelt sein kann, soll hier gestellt, aber nicht diskutiert werden.)   

Wir haben in unserer Datenbank 602 Fonds der Morningstar Kategorie Aktien Europa Standardwerte gefunden, von denen uns Monat für Monat die Daten zu rund 350 Portfolios vorliegen. Wir kontrastieren die Ländergewichtungen mit denen in der wichtigsten Benchmark für Europa-Standardwerte, den Index MSCI Europe, der zugleich der Kategorie-Index für Europafonds darstellt. 

Die untere Grafik zeigt, wie sich die Quote britischer Aktien in aktiv verwalteten Fonds der Morningstar Kategorie Standardwerte Europa Large Cap Blend gegenüber deren Gewichtung im MSCI Europe, der gängigen Benchmark für europäische Fonds, seit Mai 2011 bis Ende April verändert hat. Per Ende April hatten Europafonds britische Titel im (einfach gewichteten) Durchschnitt um 6,4% gegenüber der MSCI Benchmark untergewichtet. Per Ende April lag der Anteil britischer Aktien im MSCI Europe bei 28,4%. Im Schnitt hatten 158 Fonds britische Aktien mit 22,04% gewichtet. Per Ende März lag die UK-Quote in 339 Fonds bei 22,65%. 

Graphik: Untergewichtung UK in Fonds vs MSCI Europe in Prozentpunkten

UK in Fonds

Diese Zahlen sind erklärungsbedürftig. In der relativen Welt der Investmentfonds ist eine Untergewichtung von 5,6 oder 7 Prozentpunkten gegenüber der Benchmark eine sehr bedeutsame Größe, zumal beim Durchschnitt großer Fondsgruppen. Die obere Grafik zeigt jedoch, dass in den vergangenen fünf Jahren britische Aktien zu keinem Zeitpunkt auf eine neutrale Gewichtung gekommen sind. 

Dazu muss man wissen, dass europäische Standardwertefonds typischerweise britische Aktien untergewichten. Die meisten Manager europäischer Aktienfonds, die in Europa domiziliert sind, sind in Kontinentaleuropa beheimatet. Sie richten sich an den Bedürfnissen kontinentaleuropäischer Investoren aus, und die wollen offenbar nicht ein Drittel ihres Europa-Exposures in Pfund/UK-Aktien investiert wissen. (Das ist in etwa vergleichbar mit europäisch domizilierten Welt-Aktienfonds – auch hier findet sich selten auf Länderebene die USA-Benchmark-Quote von rund 60%). 

Eurokrise und Schottland-Referendum lieferten Extremwerte nach oben und unten

Insofern erklärt sich die grundsätzliche, langjährige Untergewichtung britischer Aktien als säkularer Trend. In den vergangenen fünf Jahren waren britische Aktien, gemessen an monatlich erhobenen Daten, im Schnitt mit 4,8% gegenüber dem MSCI Europe untergewichtet. Gemessen daran ist die Untergewichtung der Europafonds per Ende März bzw. per Ende April zwar über dem Durchschnitt, aber alles andere als spektakulär. Gleicht man die Situation heute mit einigen anderen Wegmarken ab, wird deutlich, dass der mögliche Brexit Fondsmanager relativ kalt lässt: 

Auf dem Höhepunkt der Euro-Krise haben Europafondsmanager Großbritannien offenbar auch als relativ sicheren Hafen gesehen: So der Fall zwischen der Verschärfung der Euro-Krise August 2011 und deren Entspannung ein Jahr später (EZB-Präsident Mario Draghi gab Ende Juni 2012 zu Protokoll, dass die EZB alles Nötige tun werde, um den Euro zu retten). In diesem Zeitraum stieg die Großbritannien-Gewichtung deutlich an, um dann per Ende August deutlich zurück zu gehen. 

Im Vorfeld des Referendums über die Unabhängigkeit Schottlands im September 2014 wurde die UK-Quote in Europafonds deutlich gesenkt. Zwischen März und Juli schwankte die Untergewichtung zwischen 6,8 und 7,1 Prozentpunkte gegenüber dem MSCI Europe.

Sechs mögliche Erklärungen für Fonds-Positionierung

Wie ist also die heutige Positionierung zu deuten? Wir bieten einige Erklärungsversuche nun zur Frage, was uns die Portfolio-Daten erzählen können: 

  1. Viele Fondsmanager sind möglicherweise im März und April 2016 längst nicht mehr in Großbritannien investiert: Es gab bereits vor 18 Monaten gute Gründe, britische Standardwerte zu meiden. Wir erinnern uns, dass der britische Leitindex FTSE 100 einen sehr hohen Anteil an Energie- und Rohstoffwerten aufweist. Die sind seit Mitte 2014 kräftig unter die Räder geraten. 2015 haben aktiv verwaltete Großbritannienfonds nicht zuletzt dadurch reüssiert, dass sie diese beiden Branchen gemieden haben. Insofern könnte sich die heutige Untergewichtung mit der zuvor erfolgten Flucht aus Großbritannien erklären lassen;
  2. Die Folgen eines „Brexit“ könnten für britische Großkonzerne als nicht so schwerwiegend angesehen werden, wie es gemeinhin vermutet wird. Schließlich erwirtschaften diese einen Großteil ihrer Umsätze außerhalb ihres Heimatmarkts. Zudem könnten die Aussichten für die Eurozone/Resteuropa auch nicht verlockend für Fondsmanager sein (Stichwort: Eurokrise);
  3. Fondsmanager könnten das britische Pfund absichern und das Großbritannien-Aktien-Exposure unberührt lassen. Das wäre im Grunde die Folge der in Punkt 2 genannten Einschätzung. Leider liegen uns zur Gewichtung des Britischen Pfunds in den Fonds der Europa-Standardwertekategorie nicht genug Informationen zu, um belastbare Schlussfolgerungen über das Hedging-Verhalten der Fonds zu ziehen; 
  4. Der Glaube, dass es nicht zum Brexit kommen wird, könnte bei den Portfolio-Lenkern überwiegen. Sie dürften sich von jüngsten Umfragen bestätigt sehen und erst bei einer Eintrübung der Aussichten für einen Verbleib Großbritanniens in der EU kurz vor dem Stichdatum die Reißleine ziehen;
  5. Fondsmanager könnten keine Opportunitäten finden, der Brexit-Gefahr Ausdruck zu verleihen. Zur Erinnerung: Sowohl das Pfund als auch britische Standardwerte haben sich in den vergangenen Monaten Verluste verzeichnet und könnten bereits den Boden gefunden haben. Dann wäre Inaktivität eine naheliegende Vorgehensweise; 
  6. Interne Zwänge: Fondsmanager, die zu aktiv von der Benchmark abweichen, gehen ein (Karriere-)Risiko ein. Da britische Aktien bereits in den meisten Europa-Portfolios untergewichtet sind, hätten demnach Fondsmanager in der relativen Welt des Asset Management ihre Schuldigkeit bereits getan. Britische Aktien stärker unterzugewichten könnte aus Anlegersicht zwar Sinn ergeben - aber eben nicht aus Sicht eines Portfolio-Managers mit enger Tracking-Error-Beschränkung.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich