Korrekturzeit - Valuezeit?

Aktienanleger erleben seit diesem Sommer mehr Nervenkitzel, als ihnen lieb sein dürfte. Allerdings liegt der Gewinn bekanntlich im Einkauf. Höchste Zeit, sich mit Value-Fondsmanagern über Aktien und Märkte zu unterhalten. Dr. Christoph Bruns und Hans-Peter Schupp im Gespräch.

Ali Masarwah 08.10.2015
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Nach den Kursstürzen der vergangenen Wochen liegen etliche Aktien-Indizes rund 20% unter ihren Höchstkursen. Ist Korrekturzeit Value-Zeit? Signalisiert die Volatilität der jüngsten Zeit eine Rückkehr von Substanzwerten, die lange Zeit ein Schattendasein im Vergleich zu Wachstumsaktien gefristet haben? Wir wollten wissen, wie Value-Manager heute die Welt sehen und was diese Schnäppchenjäger heute kaufen. Wir sprachen mit Dr. Christoph Bruns, Partner bei der Oldenburger Vermögensverwaltung LOYS AG, und Hans-Peter Schupp, Partner bei der Bad Homburger Fidecum AG. Bruns verantwortet den global anlegenden Aktienfonds LOYS Global P, der das Morningstar Analyst Rating "Bronze" trägt, Schupp verantwortet den Fidecum Contrarian Value Euroland, der mit "Silver" bewertet ist.  

 

Herr Dr. Bruns, Herr Schupp, die Kurse krachen, der Pessimismus der Marktteilnehmer nimmt zu. Ist die Zeit der Value-Manager gekommen?

Dr. Christoph Bruns: Ich mag solche Konstellationen. Wir haben es schwer, wenn Anleger optimistisch sind und alles nur steigt. Wer in der Hausse richtig Geld verdienen will, sollte einen ETF kaufen. Seit diesem Sommer sind die Märkte wieder nervös, da gab es zunächst das Theater um Griechenland, und seit August ist China das Thema, was allerdings wegen der großen Bedeutung des chinesischen Marktes einen regelrechten Schock an den Märkten ausgelöst hat und vor allem die Automobil- und andere Exportbranchen getroffen hat. Jetzt befinden wir uns im Korrekturmodus, die gesamten Gewinne des laufenden Jahres wurden wieder abgegeben, einzelne Titel haben sogar 30, 40 Prozent und mehr verloren. Da wird es interessant für Value-Manager, die sich auf das die ökonomische Aktienselektion konzentrieren. Das sind doch wunderbare Zeiten: Wann sollten wir unsere Vorteile ausspielen, wenn nicht heute? 

Hans-Peter Schupp: Da gebe ich Ihnen Recht. Jetzt ist die optimale Zeit, um sich zu positionieren.

Zunächst bringen Korrekturphasen Verluste mit sich … 

Schupp: Natürlich tun fallende Märkte weh, und der September war schwierig. Aber so ist das nun einmal, in solchen Zeiten ergeben sich die Chancen. Im Moment wird gesät, sobald die Märkte wieder rational sind, wird geerntet. 

Bruns: Im September war in der Tat kein Blumentopf zu gewinnen. Aber so ist das an der Börse, da geht es vier Schritte nach vorn, drei zurück, zwei nach vorne, und so weiter. Diesen Tanz stil- und parkettsicher auszunutzen, ist entscheidend. Wir sind mit 12 Prozent Kasse in die Korrektur gegangen und sind gerade zu 100 Prozent investiert. 

Schupp: Wir sind immer voll investiert. Für uns steht nicht die Frage im Mittelpunkt, ob der Markt in der nächsten Zeit nach oben geht oder ob er fallen wird. Entsprechend halten wir nur eine sehr geringe Kasse. Für uns ist entscheidend, wie die einzelnen Aktien bewertet sind, in die wir investieren wollen --- sofern der Preis stimmt. Uns hat die Situation der letzten Zeit geholfen, wir finden wieder mehr Kaufgelegenheiten. 

Bruns: Wir haben die größten Möglichkeiten in der zweiten und auch der dritten Reihe gefunden. Da waren viele Sachen dabei, die aus der Mode geraten sind, darunter Wacker Chemie aus Deutschland, Tenaris aus Italien und Polo Raph Lauren aus den USA. 

Sie wissen allerdings nicht, ob es nicht doch noch weiter nach unten geht. Und in der Regel kaufen Value-Manager einige Zeit, bevor die Tiefs erreicht werden. 

Schupp: Das stimmt, Timing ist nicht unsere Stärke, und im Nachhinein stellen wir oft fest, dass wir wieder zu früh gekauft haben. Unsere Antwort auf dieses typische Value-Problem ist, eine Position mit zunächst nur 0,5 oder einem Prozent ins Portfolio zu nehmen und die Position dann nach und nach aufzubauen. Genauso steigen wir auch wieder aus einer Position aus. Renault wurde im Zuge der VW-Affäre in Sippenhaft genommen, da haben wir gekauft, wie auch bei der Deutschen Bank nach der jüngsten Hauptversammlung, da hatte keiner mehr etwas Positives über Banken zu sagen. 

Herr Bruns, Sie halten im Gegensatz zu Herrn Schupp zeitweise durchaus hohe Cash-Quoten. Wenn Sie jetzt voll investiert sind, gehen Sie offenbar davon aus, dass es keinen Crash gibt, sondern dass es mit dieser Korrektur getan ist, oder wie kann ich Ihre 100%-ige Investment-Quote verstehen? 

Bruns: Unser Ansatz unterscheidet sich hier von Herrn Schupp. Wenn wir keine unterbewerteten Werte finden, dann halten wir Kasse. So war das über weite Strecken in diesem Jahr. Jetzt haben wir interessante Werte gefunden und sind voll investiert. Das heißt aber nicht, dass wir Asset Allocation betreiben oder versuchen, den Markt zu timen. 

Halten wir fest, Sie beide haben keine Marktmeinung und sind nur auf Einzeltitel konzentriert. Und wenn die Märkte weiter fallen, dann ist das halt so, das sitzen Sie aus. 

Bruns: Ich bin grundsätzlich optimistisch für Aktien, und zwar schon seit Jahren. Das große Bild hat sich seit der Finanzkrise nicht verändert. Die Krise hat eine tektonische Verschiebung des gesamten Bereichs der Kapitalanlage mit sich gebracht. Die Hauptalternative zur Aktie ist für die meisten Anleger weggefallen, das ist die Zinsanlage. Die hat ein Strukturproblem, denn es gibt heute keinen Zins mehr. Er ist in Europa über die ganze Laufzeit gesehen fast überall negativ --- und zwar nominal! Bei steigenden Zinsen mag man sich kaum vorstellen wollen, was mit Langläufern passieren wird. Und die Ereignisse der vergangenen Monate haben gezeigt, dass Hochzinsanleihen oder Gold keine Alternativen sind. Die Aktie steht also ganz allein auf weiter Flur. Wir befinden uns heute innerhalb eines einzigartigen Haussebandes, auch wenn wir heute in einer Korrektur stecken.   

Schupp: Wir kommen beide zum gleichen Ergebnis, wenn auch mit unterschiedlichen Argumenten. Wir befinden uns derzeit eigentlich am Ende eines Börsenzyklus. Wir hatten eine sechsjährige Hausse, und passend zu dieser Phase haben sich IPO-Tätigkeiten verstärkt. Auch die Refinanzierungsbedingungen sind unverändert günstig. Die Unternehmen machen in solchen Situationen typischerweise Unfug --- denken Sie nur an die Daimler-Chrysler-Hochzeit im Himmel und andere Beispiele. Aber das sieht man dieses Mal nicht. Im Gegenteil: Bei unseren Unternehmensbesuchen hören wir mehr von Restrukturierungen und Effizienzsteigerungen als Übernahmeplänen. Das ist gar nicht so schlecht. Das heutige Umfeld ist nicht sonderlich spannend, weil wir kein großes Wachstum haben. Andererseits haben wir keine Kapazitätsengpässe. Die Unternehmen können moderat wachsen, ohne dass es einen großen Kampf um Kapazitäten gäbe. Das ist ein sehr günstiges Umfeld für Aktien. 

Verlassen wir das Top-down-Bild. Bei allen Unterschieden weisen Ihre Fonds eine Gemeinsamkeit auf: Zykliker sind recht hoch gewichtet, vor allem bei Ihnen, Herr Schupp. Wenn China  jetzt nicht nur wackelt, sondern auch wankt, dann stehen beide Portfolios im Feuer. 

Bruns: Wir kaufen, wenn wir eine Häufung von Kursrückgängen sehen. Die war bei gewissen Industrien der Fall, etwa im Maschinenbau. Das hat dann in der Tat häufig mit der Abhängigkeit vom China-Geschäft zu tun. So der Fall bei Wacker Neuson und dem Werkstoffhersteller RHI aus Österreich. Die haben wir aber nicht aufgestockt, um den Fonds zyklischer aufzustellen, sondern weil die Kurse dieser Unternehmen um bis 50% gefallen sind. Dann gibt es noch Aktien, die besonders unbeliebt sind, etwa Energietitel. Energie ist der unbeliebteste Sektor schlechthin, da muss man als Investor schon Heldenmut mitbringen! Aber wird sind der Meinung, dass die Bewertungen so günstig sind, dass wir in drei bis fünf Jahren ordentlich verdienen können. 

Schupp: Herr Bruns spricht mir aus dem Herzen. In diesem Jahr waren defensive Aktien bemerkenswerterweise über weite Strecken die Treiber der Hausse. Da die Bondmärkte unattraktiv geworden sind, haben viele Bond-Investoren in defensive Aktien umgeschichtet. Das hat dazu geführt, dass sich der Bewertungs-Spread zwischen defensiven und zyklischen Aktien unglaublich ausgeweitet hat. Ich fühle mich mit den vermeintlich offensiven Branchen wohler -- die sind die risikoärmere Alternative! 

Das heißt, dass infolge der Korrektur bzw. im Zuge Ihrer Zukäufe Ihre Portfolios noch zyklischer sein werden als es bisher schon der Fall war. 

Schupp: Ich gehe davon aus. Als klassischer Value-Manager war ich allerdings bisher weniger dort unterwegs, wo das Thema China gespielt wurde, deshalb haben unsere Favoriten nicht so stark gelitten. Lediglich drei Prozent der Umsätze unseres Portfolios werden in China erzielt. 

Bruns: Wir sehen auch eine Ballung an interessanten Werten im zyklischen Bereich, ergo muss ein Value-Mann dort mehr tun! 

Herr Bruns, nach dem Zwischenfall im Golf von Mexiko 2010 haben Sie sehr stark in BP investiert. Die Aktie war nach dem Unfall der Ölplattform von Deep Water Horizon sehr stark gefallen. Ist das mit dem Fall VW vergleichbar, wo ebenfalls innerhalb weniger Tage massiv Werte vernichtet wurden? 

Bruns: Nein, denn die Verhältnisse sind ganz anders gelagert. Im Fall BP handelte es sich um einen Industrieunfall. Technisch fahrlässig vielleicht, aber nicht kriminell. An den Tagen nach dem Unfall hat der Markt 100 Milliarden US-Dollar von der Bewertung von BP abgeschlagen. Der Schaden wurde aber schon zu der Zeit auf rund 50 Milliarden beziffert. Nach damaliger Sicht hat der Markt sich um 50 Milliarden Dollar vertan. Heute kann man rückblickend sagen, dass es für BP teurer wird, etwa 70 Milliarden Dollar, aber auch das kann BP schultern. Bei VW geht es um vorsätzlichen Betrug, der ja bereits zugegeben wurde. Die Rechnung, die man Volkswagen präsentieren wird, könnte durchaus mit der von BP vergleichbar sein, mit dem Unterschied, dass sich VW das nicht leisten kann. Da kann das Eigenkapital schnell aufgebraucht sein, das könnte also existenziell werden. 

Gehen wir einmal davon aus, dass VW nicht pleitegeht und die materiellen Werte, die Anlagen, die Immobilien, die Patente und auch die Produkte werthaltig sind und es mit dem Konzern nach einer schweren Zeit wieder aufwärts geht. Dann könnte ein Investor wie Sie, der in Zeitspannen von Jahren rechnet, doch versucht sein, zu kaufen? 

Bruns: Nein, ich habe VW nie gemocht. VW geht es um Größe, aber nicht um die Margen. Wir achten bei Unternehmen auf die Kombination aus unternehmerischer Qualität und dem Preis. Die Qualität ist hier schlecht, VW ist ein schwaches Unternehmen, es verdient schlicht viel zu wenig. Der Grund liegt in der Größe und Breite des Portfolios. Man will wachsen, und das macht man, indem man sich immer mehr Marken zusammenkauft. VW stellt ungefähr so viele Autos her wie Toyota, hat aber doppelt so viele Mitarbeiter. 

Schupp: Für uns ist nicht unbedingt die Positionierung eines Unternehmens entscheidend und auch nicht die Shareholder-Freundlichkeit. Uns geht es um die Bewertung, und da ist VW spannend. VW ist 40 Milliarden unter dem Eigenkapital bewertet. Wenn man davon ausgeht, dass die historische Marge von rund 6% auch künftig verdient werden kann, dann sehe ich die Chance, dass sich der Aktienkurs mittelfristig verdoppelt. Uns macht ein anderer Punkt sorgen. In den letzten fünf Jahren hat VW den Umsatz verdoppelt. Ein Unternehmen, das so stark wächst, trägt die Gefahr in sich, dass bestimmte Strukturen, wie etwa die Organisation oder die Aufsicht, nicht mitwachsen. Das kann Probleme bringen, und das schreckt uns derzeit noch ab. Ich sehe die derzeitigen Gefahren aber nicht als so essenziell an wie Sie, Herr Dr. Bruns, da gibt es auch Annahmen über weitaus niedrigere Schadenersatzforderungen. Und irgendwann wird in der Presse das nächste Thema aufgegriffen, dann steht VW nicht mehr so stark im Fokus. 

Bruns: VW halte ich auch noch aus einem anderen Grund für unattraktiv. Der Konzern ist systemrelevant, der BRD ist VW offenbar zu wichtig, um dem Spiel der Märkte überlassen zu werden. Es gibt ja schließlich das VW-Gesetz, das dem Land Niedersachsen einen entscheidenden Einfluss einräumt. Daran zeigt sich, dass das Management VW gar nicht auf Rendite und Cashflows ausrichten kann, denn es handelt sich um eine staatliche Beschäftigungsanstalt. Ich würde den Argumenten von Herrn Schupp folgen, wenn es sich hier um ein normales Unternehmen handeln würde. Dann könnte VW schneller, schlanker, besser, profitabler gemacht werden, aber ich fürchte, das wird aber aus strukturellen Gründen nicht möglich sein. Wenn man unbedingt im Autosektor Chancen sucht, dann ist man besser bei Honda, Nissan, Hyundai, Toyota oder den anderen deutschen Herstellern aufgehoben. VW ist viel zu gefährlich, da kann ich nur sagen: Finger weg! 

Schupp: Da unterscheiden wir uns von Herrn Dr. Bruns. Wir achten auf den Preis und auf die historischen Margen. Die wurden bei VW in der Vergangenheit innerhalb der von Ihnen kritisierten Strukturen erwirtschaftet. Wir stellen uns immer die grundsätzliche Frage: Bei welchen Unternehmen kann eine markante Verbesserung eintreten: Bei solchen, die gut gemanagt werden, oder denen, die weniger gut gemanagt werden? Die besten Chancen ergeben sich eben nicht bei den Musterknaben, daher investieren wir eher in Unternehmen, die der Markt als schwach ansieht. 

Das Gespräch moderierte Ali Masarwah

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich