Warum Risikobetrachtungen in der Praxis oft zu kurz greifen

In diesem Artikel zeigen wir anhand von drei Beispielen die Grenzen historischer Risikokennzahlen auf und geben Anlegern einen Ausblick, was sie darüber hinaus bei der Risikoanalyse beachten sollten.

Barbara Claus 04.09.2015
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Das Risiko einer Investition wird von Anlegern oft anhand historischer Kennzahlen wie Standardabweichung oder maximalem Verlust beurteilt (Hier können Sie eine Beschreibung gängiger Risikokennzahlen nachlesen). Auch im KIID (=Key Investor Information Document) bemisst sich die Einordnung in Risikoklassen nach der historischen Standardabweichung der Fonds.

Diese Kennzahlen sind zwar durchaus wichtig und sollten bei einer Risikoeinschätzung nicht außen vor gelassen werden, doch greift eine Risikoklassifizierung anhand historischer Kennzahlen meist zu kurz, wie wir an mehreren Beispielen aus der Praxis aufzeigen.

 1.       Das Risiko verändert sich im Zeitablauf

Hauptkritikpunkt ist, dass es bei einer rein historischen Betrachtung von Kennzahlen wie beispielsweise Standardabweichung und  maximalem Verlust nicht gesagt ist, dass die Zahlen zukünftig ähnlich ausfallen wie in der Vergangenheit. So haben Anleger beispielsweise nach dem Krisenjahr 2008 keine extremen Bärenmärkte mehr erlebt, was sich aktuell in historisch niedrigen Risikokennzahlen niederschlägt. Um dies zu verdeutlichen habe ich die rollierende Standardabweichung (Monatsdaten)des globalen Aktienindex MSCI World in den letzten 15 Jahren untersucht.

Historische Standardabweichung MSCI World Index, 12-Monate rollierend

Die Werte für die Standardabweichung waren  im Zeitablauf sehr starken Schwankungen unterworfen und bewegten sich in Extremphasen bei weit über 20% (2003, 2009) oder aber, wie auch aktuell, im einstelligen Prozentbereich (2005, 2007 und ab 2013).

Doch auch die Betrachtung längerer Zeiträume schützt nicht zwangsläufig vor Fehleinschätzungen. Legt man die Fünfjahreskennzahlen zugrunde, sind die Ergebnisse zwar geglättet, bewegen sich aber seit letztem Jahr immer noch im einstelligen Prozentbereich, was gefährliche Annahmen hinsichtlich des Risikos von Aktienanlagen führen könnte.

Historische Standardabweichung MSCI World Index, 5 Jahre rollierend

 2.       Was zählt, ist das Risiko in Extremphasen

Wichtiger als das langjährige durchschnittliche Risiko einer Anlage ist ihr Risiko in Extremszenarien. Zwar kann man sich an dieser Stelle auch lediglich auf historische Beobachtungen stützen, doch bekommen Anleger dadurch einen ersten Eindruck, wie sich ihr Investment in Stressphasen verhält und mit welchen Verlusten sie in Baisse-Phasen rechnen müssen. Je länger die Historie des Investments ausfällt, desto besser lässt sich sein bisheriges Abschneiden in Krisenphasen beobachten. Für Fonds oder Indizes, die nach 2008 aufgelegt wurden, steht der finale Test in Ermangelung einer ausgeprägten Baissephase allerdings noch aus.

Maximaler Verlust MSCI World Index, 3 Jahre rollierend

Auch diese Betrachtung führt zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen, zeigt aber deutlich, wie hoch Verluste an den Aktienmärkten bislang in Extremphasen selbst bei einem breit diversifizierten globalen Aktienindex ausfallen konnten. Anleger sollten sich daher vor einer Investition über die hohen potentiellen Verlustrisiken im Klaren sein und über die finanziellen Mittel und die Nerven verfügen, während einer Baissephase investiert zu bleiben, um die Verluste nicht zu realisieren. Bislang konnten die Wertverluste an den Aktienmärkten nämlich stets wieder aufgeholt werden, auch wenn dies, wie z.B. nach den Jahren 2001 und 2008, durchaus eine Weile dauern kann.

Die Performancebilanz bei Aktien war für Anleger bislang über die meisten Zehnjahresperioden sehr positiv, mit Ausnahme der besonders Unglücklichen, die kurz vor der Baisse ab 2000 auf dem Hochpunkt der Aktienmärkte eingestiegen waren und mit dem Jahr 2008 sogar noch einen zweiten Crash durchzustehen hatten.

Absolute Wertentwicklung des MSCI World Index, 10 Jahre rollierend

 

 3.        Risikokennzahlen spiegeln das relative Risiko einer Anlage nicht immer adäquat wider

Risikokennzahlen müssen auch in der relativen Betrachtung nicht zwangsläufig so ausfallen wie erwartet. Dies zeigt die Betrachtung der historischen Standardabweichungen verschiedener Morningstar-Kategorien. So zeigt sich bei deutschen Aktien, dass Nebenwerte sich sowohl auf kurze als auch auf lange Sicht deutlich weniger volatil entwickelt haben als Standardwerte. Normalerweise steigt das Risiko einer Aktieninvestition mit abnehmender Marktkapitalisierung eines Unternehmens.

Etwas Ähnliches lässt sich auch bei Fonds für Staats- und Unternehmensanleihen beobachten. Über fünf und drei Jahre waren Fonds für Unternehmensanleihen mit Schwerpunkt Investment Grade weniger volatil als Staatsanleihen. Auf Dreijahressicht erwiesen sich sogar High Yield Unternehmensanleihen als ähnlich volatil wie Staatsanleihen.

Historische Standardabweichungen ausgewählter Morningstar Kategorien

Diese, nach historischen Maßstäben außergewöhnlichen Phänomene, können dazu führen, dass Anleger die Risiken von Investments zeitweise unterschätzen, da diese nicht immer in den Risikokennzahlen reflektiert werden. Typische Beispiele, die die obige Betrachtung aufgreifen, wären beispielsweise Fonds für deutsche Aktien mit signifikanten Investments in Nebenwerten oder Mischfonds, die auf der Rentenseite überdurchschnittlich hohe Kreditrisiken eingehen. Das innewohnende Risiko dieser Investments hätten Anleger in den letzten Jahren aber nicht an höheren Risikokennzahlen erkennen können.

Ein ganzheitlicher Ansatz zur Risikobetrachtung

Die Untersuchungen zeigen, dass die Risikobetrachtung von Investments rein anhand historischer Risikokennzahlen problematisch sein kann, da diese zwar eine Indikation für das zukünftige Risiko geben können, dies aber nicht zwangsläufig der Fall ist. Die Konsequenz aus den oben genannten Untersuchungen wäre daher die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes zur Risikobetrachtung, der sowohl qualitative als auch quantitative Elemente umfasst.

Einerseits sollte sie natürlich weiterhin die Betrachtung historischer Risikokennzahlen beinhalten, doch ist hier zu beachten, dass möglichst lange Zeiträume untersucht werden, um extreme Marktphasen oder kurz- bzw. mittelfristigen Anomalien zu erkennen und der jüngsten Vergangenheit keine zu hohe Bedeutung beizumessen. Vor allem die Untersuchung des Verhaltens der Anlagen in Extremszenarien empfiehlt sich hier.

Andererseits liefert die Kombination mit einer qualitativen Analyse weitere wertvolle Erkenntnisse, beispielsweise um das  Kredit-, Markt- oder Klumpenrisiko in einem Fonds einzuschätzen, dass sich nicht zwangsläufig in den Risikokennzahlen äußert. Hier helfen Anlegern ein Blick in das Portfolio und der Vergleich mit Wettbewerbern. Weiche Faktoren wie Fondsmanagerwechsel oder Strategieänderungen, die ebenfalls Einfluß auf Rendite und Risiko eines Fonds haben können, werden von einer rein kennzahlenbasierten Betrachtung naturgemäß ebenfalls nicht erfasst.

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Über den Autor

Barbara Claus

Barbara Claus  war von 2012 bis 2019 Fondsanalystin bei Morningstar.